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Georg Straub (1890 - 1945)

Ein forensischer Patient

24.01.1938 Urteil des Sondergerichts Stuttgart mit Anordnung der Einweisung in eine geschlossene Heil- und Pflegeanstalt
11.02.1938 Einlieferung in die Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten
23.03.1944 KZ Mauthausen
13.03.1945 Tod im Sanitätslager des KZ Mauthausen

Georg Straub wurde am 31. Juli 1890 in Radelstetten bei Ulm geboren. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg heiratete er 1921 Anna Katharina Buck und übernahm den elterlichen Hof. Aus der Ehe gingen drei Kinder, geboren 1922, 1930 und 1935, hervor. Nachbarn bekundeten, er habe an seiner Landwirtschaft gehangen und fleißig gearbeitet, allerdings habe er alles anders gemacht als die anderen Landwirte, sei immer zeitlich hinterher gewesen und hätte insgesamt wenig erwirtschaftet. Mehrfach verweigerte er seinen Knechten und Mägden den Lohn, weil er sie für Faulpelze hielt, und wurde deshalb von ihnen verklagt.

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Georg Straub
Georg Straub als Rekrut im Ersten Weltkrieg
(Bildquelle: Eberhard Leibing)

Seine leichte Erregbarkeit und die Neigung zu verbalen Überreaktionen brachten Georg Straub schon in der Zeit der Weimarer Republik mehrere Geldstrafen wegen Beamtenbeleidigung, falschen Anschuldigungen und Bedrohungen ein. Nachdem er wieder einmal gegen den – nunmehr nationalsozialistischen – Staat gewettert hatte, verurteilte ihn das Sondergericht Stuttgart auf Grundlage des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei vom 20. Dezember 1934 im Januar 1936 zu einem Jahr Gefängnis. Die Strafe verbüßte er größtenteils im Strafgefangenenlager VI in Oberlangen/Ems nahe Meppen, einem der berüchtigten Moorlager. Obwohl diese Lager der Justiz unterstanden, bestand das Wachpersonal in Oberlangen fast ausschließlich aus SA-Angehörigen. Dort wurde er wegen Renitenz mit Lagerstrafen belegt. Nach seiner Rückkehr aus der Haft im Februar 1937 äußerte er gegenüber seiner Frau und dem auf dem Hof tätigen Knecht Helfferich: „Im Lager sind lauter Schnallentreiber. Jeder Lausbub mit 20 und 27 Jahren, der Heil Hitler sagt und in der SA ist, darf die Leute schlagen wie er will.“ Ehefrau und Knecht, die mittlerweile liiert waren, nutzten die Gelegenheit, den unwillkommenen Gatten wieder los zu werden und denunzierten ihn bei der Gestapo. Daraufhin wurde Straub am 3. März 1937 durch einen Beamten der Ulmer Gestapo und zwei Landjäger festgenommen. Dabei habe er sich wie ein Rasender gebärdet, wilde Drohungen gegen seine Frau ausgestoßen und staatsfeindliche Äußerungen von sich gegeben.

Während seiner Untersuchungshaft ließ das Sondergericht Stuttgart von der Universitätsnervenklinik Tübingen und vom Staatlichen Gesundheitsamt Münsingen psychiatrische Gutachten erstellen, die Straub einen gewissen Grad geistiger Verwirrung und leichte Paranoia bescheinigten. Seine „erbbedingten Wesenszüge“ hätten durch die Lebensumstände zu krankhafter Reizbarkeit, affektiver Enthemmung und zur wahnhaften Umdeutung der Verhältnisse geführt. Wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit nach § 51 Abs. 2 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) sei eine milde Strafe angeraten.

Dem folgte das Urteil des Sondergerichts vom Januar 1938. Straub wurde zu sechs Monaten Gefängnis, abgegolten durch die Untersuchungshaft, verurteilt. Jedoch ordnete das Gericht zugleich seine Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt nach § 42b RStGB zur Abwendung der Gefahr für die öffentliche Sicherheit an. Anfang Februar 1938 wurde Straub in die Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten im heutigen Landkreis Reutlingen eingeliefert. Auf Antrag seiner damaligen Ehefrau wurde er im Mai 1938 durch Beschluss des Amtsgerichts Blaubeuren entmündigt. In der Begründung hieß es, er leide an Wahnideen und sei nicht imstande, seine beruflichen und persönlichen Angelegenheiten zu besorgen. Als sich Straub juristisch zu wehren versuchte, konterte der Zwiefaltener Anstaltsdirektor, Prof. Dr. Hans Gruhle, mit einer vernichtenden Expertise : Straub sei ein „rabiater, unbeherrschter, querulatorischer Charakter“ und definitiv „unbelehrbar“.

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Georg Straub Feldpost
Abschrift der feldpostbrieflichen Benachrichtigung des Sohnes durch die Anstalt Zwiefalten, dass Georg Straub ins KZ Mauthausen deportiert wurde (StAL EL 350 I Bü 1101)

Um den Konzentrationslagern immer weitere Arbeitssklaven zuzuführen, griff  Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler schließlich auch auf die arbeitsfähigen forensischen Anstaltspatienten zu. Der Stuttgarter Generalstaatsanwalt und die Leitungen diverser Anstalten listeten in diesem Zusammenhang in Württemberg (in Baden lief aber wohl das gleiche ab) im Laufe des Jahres 1943 gemeinsam „abgabefähige“ Patienten auf. Für Zwiefalten waren es vier weibliche1 und 12 männliche Personen, darunter Georg Straub. Am 21. März 1944 wurde er zusammen mit elf Leidensgenossen von Kripobeamten abgeholt und per Sammeltransport ins KZ Mauthausen überführt. Dem Sohn wurde die Deportation des Vaters von der Anstaltsdirektion Anfang Juli 1944 per Feldpostbrief mitgeteilt.

Bei der Ankunft im Konzentrationslager am 23. März erhielt Straub die Häftlingsnummer 59330 und wurde, wie alle forensischen Patienten im KZ Mauthausen, als „Sicherungsverwahrter“ kategorisiert und registriert. Für einen nicht bekannten Zeitraum war er anschließend im Nebenlager Ebensee zur Arbeit eingesetzt, wurde dann aber am 28. August 1944 in das Stammlager rücküberstellt. Dort registrierte man am 13. März 1945 seinen Tod im Sanitätslager. Das Totenbuch, in dem in aller Regel fiktive Todesursachen eingetragen wurden, vermerkt als Todesursache Kreislaufschwäche und akuten Dickdarmkatarrh.

Nach Kriegsende wurde Georg Straub vom Amtsgericht Ulm zum 8. Mai 1945 für tot erklärt. Sein Sohn bemühte sich um eine Entschädigung. Die Anträge wurden jedoch vom Amt für Wiedergutmachung abgelehnt. Eine gegen die Ablehnung erhobene Klage wurde abgewiesen. Das Landgericht Stuttgart berief sich in seinem Urteil vom April 1951 im wesentlichen auf eine Klageabweisung des Oberlandesgericht Stuttgart vom Februar 1950, die folgendermaßen begründet wurde: Wiedergutmachung für politische Verfolgung  "setzt voraus, dass das die schädigenden Maßnahmen auslösende Verhalten des Verfolgten Ausdruck einer politischen Gesinnung war und von der verfolgenden Behörde auch so gewertet worden ist." Nur Gegnerschaft aus politischer Überzeugung werde als entschädigungsberechtigt anerkannt, die Beweislast liege beim Antragsteller. "Zur Bejahung" sei aber "in erster Linie erforderlich, dass der Verfolgte auch eine für seine Tat voll verantwortliche Persönlichkeit war." Das Landgericht befand nun, dass Straub aber geisteskrank gewesen sei und somit nicht die geforderte "voll verantwortliche Persönlichkeit" gewesen sein könne. Zur "Würdigung der Persönlichkeit" Straubs griff das Gericht auf die medizinischen Gutachten aus der Nazizeit zurück, ebenso auf die Akten der Gerichts- und Ehescheidungsverfahren. Irgendwelche Zweifel hinsichtlich der ideologischen Prämissen der Gutachter und der möglicherweise daraus resultierenden Fehldiagnosen scheint es weder bei den Wiedergutmachungsbehörden noch beim Gericht gegeben zu haben.

Der Sohn nahm diese Ablehnung jedoch nicht einfach hin. Im November 1958 einigte man sich schließlich auf einen Vergleich: die Hinterbliebenen erhielten eine Einmalzahlung von 3.000 DM mit der dann alle Ansprüche als abgegolten galten.

Im Mai 2023 ließ Dr. Eberhard Leibing aus Radelstetten, der seit 2015 zu dem Schicksal Georg Straubs recherchierte, eine Gedenktafel an dessen Wohnhaus anbringen. Parallel dazu wurde auch ein Stolperstein vor dem Haus verlegt.

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Straub, Gedenktafel bunt
Gedenktafel für Georg Straub (Bildquelle: Eberhard Leibing)

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Georg Straubs Wohnhaus Bei der Hüle 3 in Lonsee-Radelstetten.

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1 Die forensischen Patientinnen wurden alle in das KZ Auschwitz deportiert.

 

Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
Dokumente 0.1 / 42861557 und 0.1 / 42861543

Memorial Mauthausen (https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/)

Auskunft des Mauthausen Memorial Archives vom 9.12.2014

Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 1101

Sigrid Brüggemann: Georg Straub (https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/georg straub)

Klaus Ulrich Morlock: Die forensischen Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten 1933 – 1945. Tübingen 1999.

Südwestpresse, Artikel v. 26.1.2021

 

© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Juli 2022
www.kz-mauthausen-bw.de