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Homosexuelle (14 Häftlinge)

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 wurden die in der Weimarer Republik errungenen Freiräume für nichtheterosexuelle Menschen drastisch eingeschränkt. Schon am 23. Februar 1933 erließ der Preußische Minister des Innern, Hermann Göring, eine Verordnung zur Schließung von Gaststätten, die “zur Förderung der öffentlichen Unsittlichkeit mißbraucht werden". Dazu wurden “Schankwirtschaftsbetriebe” gezählt, “in denen ausschließlich oder überwiegend Personen verkehren, die der widernatürlichen Unzucht huldigen”. Bereits am folgenden Tag wurde der Vertrieb von “Schmutz- und Schundschriften”, wozu auch homoerotische und sexualwissenschaftliche Literatur gezählt wurde, verboten.

Viele homosexuelle Männer versuchten, dem Verfolgungsdruck durch einen Rückzug ins Private zu begegnen. Wer nicht durch ein entsprechendes Verhalten in der Öffentlichkeit in Erscheinung trat, wurde zunächst in der Regel nicht belangt. Bis Juni 1934 kann von einer systematischen Verfolgung homosexueller Männer im nationalsozialistischen Staat noch keine Rede sein.

Radikalisierung der Verfolgung

Auftakt zur Intensivierung der Verfolgung war die Mordaktion vom 30. Juni 1934, dem angeblichen "Röhmputsch", bei der Hitler nahezu die gesamte SA-Führung um den homosexuellen SA-Stabschef Ernst Röhm sowie weitere missliebige Personen ermorden ließ. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels lieferte in einer Rundfunkrede am 1. Juli 1934 die Begründung: diese "Clique von gewerbsmäßigen Saboteuren" sei im Begriff gewesen, "die ganze Führung der Partei in den Verdacht einer ekelerregenden sexuellen Abnormität zu bringen. [...] Korruptionsherde, Krankheitssymptome moralischer Verwilderung, die sich im öffentlichen Leben zeigen, werden ausgebrannt, und zwar bis aufs Fleisch."

Mit dem Konstrukt des homosexuellen Partei- und damit auch Staatsfeindes, der die NSDAP und ihre Organisationen von innen her bedroht, wurde gegen Homosexuelle fortan auch mit den Mitteln der politischen Gegnerbekämpfung vorgegangen. Nun war nicht mehr ausschließlich die Kripo für die Verfolgung zuständig, sondern, wenn es politisch opportun erschien, auch die Gestapo.

Die Verschärfung des § 175 Reichsstrafgesetzbuch und die Erweiterung durch den § 175a (Gesetz vom 28. Juni 1935, in Kraft getreten am 1. September 1935) bedeuteten eine erhebliche Erweiterung der Straftatbestände und des Strafmaßes. Wurden bisher nur beischlafähnliche Handlungen strafrechtlich geahndet, waren nun sämtliche sexuellen Handlungen unter Männern strafbar - auch der bloße Versuch oder wenn gar keine Berührungen stattgefunden hatten. Auch Onanie in Gegenwart eines anderen Mannes wurde als "Unzucht" gewertet.

Im neugeschaffenen § 175a wurde Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen Gefängnis nicht unter drei Monaten, angedroht bei

  1. sexueller Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben.
  2. bei Mißbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit.
  3. bei Verführung Minderjähriger (männliche Personen unter 21 Jahren) durch Erwachsene.
  4. bei gewerbsmäßiger Unzucht unter Männern.

Die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“ (Sodomie) wurde nach § 175b ausgelagert.

In der Folge stieg die Zahl der Verurteilungen wegen § 175 1936 gegenüber 1933 in Württemberg auf das zweieinhalbfache (von 88 auf 216), in Baden gar auf das Vierfache (von 60 auf 242). Auch die Strafzumessung wurde deutlich erhöht. Bis 1935 wurden in den § 175-Verfahren meist Geldstrafen oder Gefängnisstrafen unter drei Monaten verhängt, ab 1936 deutlich längere Gefängnis- und fortan auch Zuchthausstrafen.

Ein weiterer Schritt in der Verfolgung war die systematische Erfassung sowie die zentrale Regelung staatspolizeilicher Maßnahmen gegen homosexuelle Männer. Nachdem bereits 1934 das Sonderdezernat II S im Geheimen Staatspolizeiamt eingerichtet worden war, in dem die Personalangaben verdächtigter oder überführter Homosexueller gesammelt wurden, veranlasste Heinrich Himmler 1936 in seiner Funktion als "Chef der deutschen Polizei" die Schaffung einer „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“. In einem Schreiben vom 1. Oktober 1936 an alle Kriminal- und Staatspolizeistellen beklagte Himmler “die homosexuelle Betätigung einer nicht unerheblichen Schicht der Bevölkerung”. Dies stelle eine “erhebliche Gefährdung der Bevölkerungspolitik und Volksgesundheit” dar, die eine “wirksame Bekämpfung dieser Volksseuchen” erfordere.1

Nach einem Runderlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 12. Juli 1940 schließlich waren „alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugungshaft [KZ-Einweisung, S.B.] zu nehmen“. Mit diesem Erlass wurden die Einweisungen in Konzentrationslager nach Verstößen gegen den § 175 systematisiert.

Homosexuelle Häftlinge in den KZ

In den Konzentrationslagern erhielten diejenigen Häftlinge, die aufgrund homosexueller Delikte eingewiesen worden waren, meist als Kennzeichen einen rosa Winkel und die Kategorie "§ 175 Schutz", manche jedoch auch rote (für "politisch"), schwarze (für "asozial") und grüne (für "Berufsverbrecher" – BV oder "Sicherungsverwahrte" - SV) Winkel - je nachdem welche Kategorie die Politische Abteilung des jeweiligen Lagers den Häftlingen zuwies (siehe auch den Beitrag zur Häftlingsgesellschaft). Manche KZ-Häftlinge erhielten im Lauf der Zeit auch verschiedene Winkel.

Bekamen sie den rosa Winkel zugewiesen, bedeutete dies nicht nur besonders sadistischen Quälereien der Lager-SS ausgesetzt zu sein, sondern auch dem weitgehend verständnislosen, ablehnenden Verhalten der Mithäftlinge. Homosexuelle waren am unteren Ende der Lagerhierarchie angesiedelt, waren bevorzugte Objekte für medizinische Versuche und wurden in der Regel den schwersten Arbeitskommandos zugeteilt. Nur in wenigen Ausnahmefällen gelang es ihnen, die relativ privilegierte Position eines Funktionshäftlings zu erlangen. Da sie häufiger als andere Häftlinge immer wieder in andere Lager überstellt wurden, konnten sie nur selten die für das Überleben im KZ so wichtigen Solidargemeinschaften bilden.

Für das KZ Dachau wird bislang von insgesamt 595 Häftlingen mit dem rosa Winkel ausgegangen, für das KZ Mauthausen von insgesamt rund 250.2 Manche blieben nur wenige Tage und wurden dann in andere KZ weiterverschubt. Anlässlich der vorübergehenden Räumung des Lagers Dachau für Ausbildungszwecke der SS wurden am 27. September 1939 mit einem großen Häftlingstransport auch 64 "§ 175" - Häftlinge in das KZ Mauthausen überstellt, darunter drei Häftlinge aus Baden und Württemberg (siehe z.B. Biografie Heinz Leible).3

Mauthausen-Häftlinge aus Württemberg und Baden

Nach unserem Wissen wurden insgesamt 14 homosexuelle Häftlinge aus dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg zwischen September 1939 (z.B. Alfons Schmidberger) und Januar 1945 (Friedrich Habermaier) in den Lagerkomplex Mauthausen deportiert. Ihre Schicksale sind so unterschiedlich gelagert, dass sich daraus praktisch keine Verallgemeinerungen ableiten lassen. Fünf der 13 Männer stammten aus Baden, neun aus Württemberg. Sieben wurden vom KZ Dachau ins KZ Mauthausen überstellt, drei von ihnen kamen zwischen Dezember 1940 und Juni 1942 nach Dachau zurück. Drei Männer wurden als Sicherungsverwahrte direkt ins KZ Mauthausen eingeliefert, die anderen nach Stationen in anderen Konzentrationslagern. Sechs der 14 Männer kamen im Lagerkomplex Mauthausen zu Tode, einer wurde zur Wehrmacht entlassen, die übrigen erlebten ihre Befreiung. Ihr Durchschnittsalter betrug zum Zeitpunkt ihrer KZ-Einweisung 35,3 Jahre, der Jüngste war 23 Jahre alt, der Älteste 58 (Alfons Schmidberger).

Die Nachkriegszeit

Im westlichen Nachkriegsdeutschland wurde der § 175 StGB in der von den Nationalsozialisten 1935 verschärften Fassung weiter angewendet. 1951 urteilte der Bundesgerichtshof, die Verschärfung des § 175 sei 1935 ordnungsgemäß zustandegekommen und somit kein nationalsozialistisches Unrecht. Durch die nahezu nahtlose Fortsetzung der Kriminalisierung konnten sich die homosexuellen Männer nicht wie die anderen Opfergruppen organisieren, ihr erlittenes Unrecht dokumentieren und eine Wiedergutmachung einfordern. Gedenkstätten, Museen und die Forschung ignorierten lange Zeit ihre Geschichte. Versuche, ihrer Schicksale zu gedenken, stießen immer wieder auf großen Widerstand. So fehlen, auch aus Baden und Württemberg, weitgehend individuelle Zeugnisse und autobiografische Mitteilungen.

Es dauerte bis 1969, ehe die damalige Große Koalition aus CDU/CSU und SPD den § 175 auf sexuelle Handlungen mit unter 21-jährigen beschränkte. Nach weiteren Lockerungen 1973 wurde er 1994 ersatzlos gestrichen. Die frühere Rechtssprechung aber wirkte fort. Noch 1996 lehnte die Bundesregierung jede Form von Schadenersatzansprüchen mit der Begründung ab, es liege bei Verfolgung nach § 175 keine typische NS-Unrechtstat vor. Erst 2002 beschloss der deutsche Bundestag, die nationalsozialistischen Urteile gegen Homosexuelle aufzuheben. Damit erlangten nun auch schwule und lesbische NS-Opfer Anspruch auf Wiedergutmachung.

1984 brachten die homosexuellen Initiativen Österreichs eine Gedenktafel in der Form eines Winkels aus rosa Granit in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen an.

Image
Gedenkstein § 175 Klm
Gedenkstein in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Anhang:
Namenliste der 13 homosexuellen Häftlinge des KZ Mauthausen aus dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg

Liste Homosexuelle

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1 Vgl. ... der Liebe wegen. Beitrag v. Ralf Bogen.

2 Beide Zahlen können nur die ungefähre Größenordnung wiedergeben, da - wie oben erwähnt - bei den Gefangenen, die als "Asoziale", "Berufsverbrecher" oder "Sicherungsverwahrte" eingewiesen wurden, die zusätzliche Kategorie "§ 175" oft unerwähnt blieb.

3 Vgl. Knoll, Dachauer Hefte 14


Literatur

https://www.der-liebe-wegen.org/1933-1945/Ralf Bogen/NS-Verfolgung

Rainer Hoffschildt: Die Verfolgung der Homosexuellen in der NS-Zeit. Zahlen und Schicksale aus Norddeutschland. Berlin 1999.

Carola v. Bülow: Der Umgang der NS-Justiz mit Homosexuellen. Oldenburg 2000. Diss. v. 10.7.2000 (oops.uni-oldenburg.de).

Julia Noah Munier: Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert. Stuttgart 2021.

Albert Knoll: Totgeschlagen - Totgeschwiegen: Die homosexuellen Häftlinge im KZ Dachau. Dachauer Hefte 14 (1998), Verfolgung als Gruppenschicksal. Comité International de Dachau.

 


© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Mai 2023
www.kz-mauthausen-bw.de