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Forensische Patienten (40 Häftlinge)

Forensische Patienten waren (und sind) Menschen, die wegen Straftaten zwar gerichtlich verurteilt wurden, von der betreffenden gerichtlichen Instanz jedoch als nicht oder nur bedingt schuldfähig befunden wurden. Geregelt war dies nach § 51 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB): "Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war.“
Die Gerichte verhängten in diesen Fällen entweder keine oder nur geringe Strafen, aber ordneten gemäß § 42 b RStGB die anschließende Unterbringung in einer geschlossenen Heil-und Pflegeanstalt an. Dort unterstanden die Betroffenen weiterhin der Justiz. Die Bandbreite der Delikte reichte von Bettelei, kleinem Diebstahl, Zechprellerei bis zu Gewaltverbrechen. Allerdings war, wie bei den Sicherungsverwahrten auch, der allergrößte Teil der forensischen Patienten wegen kleinkrimineller Vergehen angeklagt.
Vor der Gerichtsverhandlung wurden die potentiell schuldunfähigen Delinquenten medizinisch begutachtet. Hierzu wurden sie in der Regel für sechs Wochen zur Begutachtung in einer Nervenheilanstalt untergebracht, manche aber auch in psychiatrischen Abteilungen von Universitätskliniken oder durch Amtsärzte untersucht. Für ihre Gutachten stützten sich die Ärzte auf eigene Beobachtungen und Angaben der Patienten, auf Straf- und Krankenakten, auf Gutachten von früheren Aufenthalten in Heilanstalten, aber auch auf Befragungen und Ermittlungen im sozialen Umfeld der Patienten. Nationalsozialistischen biologistischen Vorstellungen gemäß erfolgte die Bewertung unter Einbeziehung von als ererbt angesehenen Faktoren wie Geisteskrankheiten in der Familie, sowie von sozialen "Defekten" wie Alkoholismus, Arbeitsverweigerung oder anderen Verhaltensauffälligkeiten.
 

Die in den einzelnen Biografien der forensischen KZ-Häftlinge auf der vorliegenden Website zitierten Gerichtsurteile, Gutachten und Krankenakten lassen die ideologischen Prämissen der damaligen Sachverständigen (in der Regel Psychiater) und Amtsärzte erkennen. Sie zeigen auch, wie skrupellos sie psychisch Kranke dehumanisierten, indem sie diese für "minderwertig", "seelisch verkommen" oder "erblich schwachsinnig" erklärten. Hinzu kamen sozialhygienische und utilitaristische Vorstellungen, denen zufolge "die gesunde Volksgemeinschaft durch Entfernung der kranken Individuen, die sich nicht der Allgemeinheit nutzbringend einzufügen vermögen, zu schützen sei". Aus den Akten wird meist auch ersichtlich, welch fatale Konsequenzen diese Beurteilungen für die Betroffenen hatten. Oftmals wurden sie während ihrer Unterbringung in staatlichen Heil- und Pflegeanstalten sterilisiert, um eine Fortpflanzung des "minderwertigen Erbguts" zu verhindern.

Patienten und Angehörige stellten immer wieder Anträge auf Überprüfung der Notwendigkeit einer weiteren Anstaltsunterbringung oder forderten die Freilassung, aber nur wenige hatten damit Erfolg. So saßen die meisten schon jahrelang in den Anstalten, als der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler schließlich auch auf die arbeitsfähigen forensischen Anstaltspatienten zugriff, um den Konzentrationslagern weitere Arbeitssklaven zuzuführen. 
Die Deportation der forensischen Patienten in die KZ ging auf einen Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 8. August 1943 über die "Unterbringung gefährlicher Geisteskranker" zurück. Nach diesem Erlass erstellte der jeweilige Generalstaatsanwalt Listen der möglicherweise aus den Heil- und Pflegeanstalten zu deportierenden forensischen Patienten. Die Listen wurden von den Anstaltsdirektoren überprüft und die für den Betrieb unabkömmlich Gehaltenen, die Arbeitsunfähigen und die zur Entlassung Vorgesehenen von den Listen gestrichen. Das Ganze ging wieder zurück an den Generalstaatsanwalt, der letztlich entschied wer deportiert werden sollte. Nach Abschluss schickte der Generalstaatsanwalt die bereinigte Liste an das Reichskriminalhauptamt.
Nach späteren Aussagen von medizinischem Personal und überlebenden Patienten wurden vor allem als unbequem wahrgenommene Patienten auf die Listen gesetzt. Ein Medizinalrat der Heilanstalt Winnental erteilte dazu im September 1948 dem württembergischen Justizministerium Abt. VI folgende Auskunft:
„Es wurden damals die meisten, wenn nicht alle, nach § 42b StGB in der Heilanstalt verwahrten Geisteskranken nach Mauthausen abtransportiert. Ein Grund wurde nicht angegeben. Von allen soll nur ein einziger Kranker am Leben geblieben sein [die Aussage deckt sich mit unseren Erkenntnissen, S.B.]. Es handelt sich bei dieser Maßnahme sicher um eine der damals einfachen Form der Erledigung unbequemer Volksgenossen.“

Nachdem die Frage, wer aus welchen Heilanstalten deportiert werden sollte, geklärt war,  wurden im Frühjahr 1944 die praktischen Vorkehrungen getroffen. Den Anstalten wurden die Termine bekanntgegeben, wann die Patienten von Kripobeamten abgeholt werden sollten und wie weiter verfahren werden würde. So wurden die württembergischen forensischen Patienten alle in der Sicherungsanstalt Schwäbisch Hall gesammelt und dann in einem Sammeltransport in das KZ Mauthausen verbracht. Die Habe der Häftlinge sollte nach deren Abholung unmittelbar an das KZ verschickt werden. Die Angehörigen bekamen in der Regel von der Anstaltsleitung ein Schreiben mit folgendem Wortlaut:
"Ich teile Ihnen mit, dass ihr Sohn/Bruder/Mann [...] auf Anordnung des Herrn Reichsministers der Justiz am 21. März 1944 in ein Arbeitslager Mauthausen bei Linz (Oberdonau) überführt worden ist. Weitere Anfragen bitte ich höherer Weisung zufolge künftig an das Reichskriminalpolizeiamt Berlin zu richten."

Die Betroffenen wurden nach ihrer Ankunft im Stammlager Mauthausen  bei der Registrierung mit der Kategorie "SV" (Sicherungsverwahrte) erfasst und erhielten als Erkennungszeichen den grünen Winkel der Kriminellen.

Die pauschale Kategorisierung als „Sicherungsverwahrter“ verdeckt wesentliche Unterschiede innerhalb dieser KZ-Häftlingsgruppe. Daher ist es, wenn nur wenige Informationen vorliegen, heute mitunter schwierig, mit Sicherheit zu bestimmen, ob es sich bei dem jeweiligen Häftling tatsächlich um einen forensischen Patienten oder nicht doch um einen justiziell erklärten Sicherungsverwahrten handelt (also einem Delinquenten, bei dem ein Gericht zusätzlich zu seinem Urteil die Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Strafe anordnete). Bei einigen weiteren Häftlingen ist die Zuordnung auch deshalb schwierig, da sie zwar zu unterschiedlichen Zeiten Patienten in Heil- und Pflegeanstalten waren, zum Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung der Sicherungsverwahrung jedoch als uneingeschränkt schuldfähig galten und als "normale" Straftäter verurteilt wurden. Auch in der Forschungsliteratur wird diese Problematik kaum berücksichtigt und bei KZ-Häftlingen zwischen Sicherungsverwahrten und forensischen Patienten nicht unterschieden. Die Verbringung forensischer Patienten in Konzentrationslager wird überhaupt nur selten thematisiert und ist deshalb bislang wenig bekannt.

Daten zu den forensischen Mauthausenhäftlingen aus Württemberg und Baden

Aus dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg wurden nach uns bisher bekannten Quellen im Frühjahr 1944 40 forensische Patienten in das KZ Mauthausen deportiert (einige wenige weibliche forensische Patientinnen wurden in das KZ Auschwitz verbracht). Aus Württemberg kamen 24, aus Baden 16 männliche Patienten.
Die 24 Männer aus den württembergischen Heil- und Pflegeanstalten Winnental bei Winnenden (9), Zwiefalten (12), Schussenried (2) und Weinsberg (1) trafen am 23. März 1944 im Stammlager Mauthausen ein. Fünfzehn Männer aus der badischen Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch kamen am 6. Mai 1944 dort an. Ein Patient aus der Anstalt Emmendingen in Baden war bereits am 8. April 1944 eingeliefert worden. Das Durchschnittsalter dieser 40 Männer lag beim Eintreffen im KZ Mauthausen bei  33,6 Jahren.

Von den insgesamt 40 Männern gingen 26 (17 aus Württemberge und neun aus Baden) im Lagerkomplex Mauthausen zugrunde oder wurden ermordet, sieben von ihnen in der Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz. Mit einer Mortalitätsrate von 65% gehörten die forensischen Patienten zu den Opfergruppen mit der höchsten Sterblichkeit, ihre durchschnittliche Überlebensdauer in der KZ-Haft lag allerdings etwas höher als bei den nichtforensischen Sicherungsverwahrten.

Nach Kriegsende stellten sechs Überlebende und sechs Angehörige von Ermordeten Anträge auf Wiedergutmachung - oft mit der Begründung, die Psychiatrisierung sei aus politischen Gründen erfolgt. Von diesen zwölf Anträgen ist uns nur ein Fall bekannt, der zumindest mit einer geringfügigen Entschädigung endete. Alle anderen wurden entweder definitiv abschlägig beschieden, oder es finden sich keine Hinweise auf den Ausgang in den Archiven. 
Rechtlich galt lange Zeit nur als entschädigungsfähig, wer aus politischen, „rassischen“ oder religiösen Gründen im Nationalsozialismus verfolgt worden war. Wiedergutmachungsämter und Gerichte argumentierten, ein Anspruch auf Wiedergutmachung aus politischen Gründen setze voraus, dass das die schädigenden Maßnahmen auslösende Verhalten des Verfolgten Ausdruck einer politischen Gesinnung war und von der verfolgenden Behörde auch entsprechend gewertet wurde. Zur "Bejahung" sei aber in erster Linie erforderlich, dass der Verfolgte auch eine für seine Tat voll verantwortliche Persönlichkeit gewesen wäre. Für Geisteskranke könne dies jedoch nicht zutreffen. Zur "Würdigung" der jeweiligen Persönlichkeit wurde auch in der Nachkriegszeit in der Regel auf die medizinischen Gutachten und auf Gerichtsakten aus der Nazizeit zurückgegriffen. Zweifel hinsichtlich der ideologischen Sichtweise der damaligen Gutachter und der möglicherweise daraus resultierenden Fehldiagnosen scheint es bei den Wiedergutmachungsbehörden und bei den Gerichten nur selten gegeben zu haben. Und so wurde mit der Begründung "nicht voll verantwortlich zu sein" forensischen Patienten generell eine politische Motivation und damit das Recht auf Entschädigung abgesprochen. Im Falle einer Witwe wurde die Ablehnung ihres Antrags auf Wiedergutmachung damit begründet, dass ihr Ehemann (Otto Schöffel) von Polizei und Gerichten "stets nur als Kranker behandelt" worden sei. Somit habe seine Witwe keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen, es müsse „dem Gesetzgeber überlassen bleiben, ob und in welcher Weise er derartige Fälle nationalsozialistischen Unrechts wieder gutmachen will und kann". 
In einem anderen Fall (Josef Baumhauer) war dem Überlebenden im Herbst 1945 die Zuweisung eines kleinen LKW aus Wehrmachtsbeständen zum Aufbau eines Fahrgeschäfts als Entschädigungsleistung bereits zugesagt worden. Dann aber wurde die Zusage plötzlich mit der Begründung zurückgenommen, als Vorbestrafter hätte er keinen Anspruch auf Wiedergutmachungsleistungen.
So gelang es nur ganz wenigen überlebenden ehemaligen forensischen Patienten oder ihren Hinterbliebenen, die wegen Querulantentum oder "Heimtücke"-Delikten in die Heilanstalten eingewiesen worden waren, dies als politisch motivierte Aktionen amtlich anerkannt zu bekommen und damit wenigstens eine nähere Prüfung des Anspruchs auf Entschädigungsleistungen zu erwirken.

Die Auslieferung forensischer Patienten an die SS durch Justiz und medizinisches Personal der Heil- und Pflegeanstalten wurde bisher in der Forschung nur marginal berücksichtigt.  Auch gab es unseres Wissens für diesen Tatbestand weder gezielt staatsanwaltschaftliche Ermittlungen noch eine strafrechtliche Verfolgung der in diesem speziellen Vorgang verantwortlichen Akteure. Und ebensowenig fanden diese Verbrechen Berücksichtigung in der historischen Aufarbeitung und gedenkenden Würdigung.


Quellen und Literatur

Hauptstaatsarchiv Stuttgart
E 151/53 Bü 500

Morlock, Klaus Ulrich: Die forensischen Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten im Nationalsozialismus, in: Pretsch, Hermann (Hg.): Krankenmorde in Südwestdeutschland. Zwiefalten 1996, S. 51-66.

Morlock, Klaus Ulrich: Die forensischen Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten 1933-1945. Inaugural-Dissertation Universität Tübingen 1999.

Winnender Veröffentlichungen Bd. 3: 175 Jahre Heilanstalt Winnenden
(Jubiläumsveröffentlichung der Stadt Winnenden und des Zentrums für Psychiatrie Winnenden - 2009).

 

© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart 
Stand: März 2025
www.kz-mauthausen-bw.de

 

Anhang:

Namenliste der mit einer Biografie versehenen forensischen Patienten-Häftlinge des KZ Mauthausen aus dem heutigen Baden-Württemberg

Baumann, Anton *17.10.1901
Baumhauer, Josef *08.03.1914
Bayer, Georg *30.08.1922
Bernhard, Johannes *04.10.1889
Bertsch, Josef *06.03.1920
Bregler, Friedrich *15.12.1897
Doerner, Walter *21.01.1919
Flaig, David *16.12.1913
Fleisch, Fritz *10.09.1906
Förschner, Eugen *18.11.1895
Fuchs, Xaver *16.05.1905
Gaberacker, Ernst *04.08.1921
Gaiser, Georg *08.02.1914
Grimm, Willi *13.12.1922
Grohs, Bodo *01.10.1921
Hauschel, Josef *19.11.1907
Höfling, Georg *25.07.1895
Hölscher, Armin *26.10.1901
Holtermüller, Johann *19.12.1903
Horrer, Johann *14.03.1903
Hoyler, Johannes *03.05.1907
Kappes, Karl *18.05.1921
Klumpp, Hermann *07.12.1918
Lenz, Eugen *15.04.1916
Mangold, Hans *22.12.1918
Mehlin, Adolf *22.06.1909
Meinzer, Ludwig *14.03.1888
Müller, Otto *17.01.1923
Repple, Reinhold *13.02.1906
Rothweiler, Josef *10.02.1891
Schilling, Gustav *26.03.1923
Schöffel, Otto *18.09.1891
Seebacher, Heinz *20.12.1920
Straub, Georg *31.07.1890
Teufel, Ernst *06.01.1908
Trauth, Willi *30.06.1922
Wolf, Hubert *03.11.1920
Wolf, Max *26.05.1906