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Heinrich Gottschalk (1906 - 1975)

Ein Stuttgarter Kommunist

18.02.1938 Polizeigefängnis Welzheim
25.03.1938 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Mauthausen
18.02.1940 KZ Dachau

Heinrich Gottschalk wurde am 6. September 1906 im ostpreußischen Kaltecken im Landkreis Tilsit (heute: Sowetsk, Oblast Kaliningrad) geboren. Seit 1927 lebte er in Süddeutschland, ab August 1929 wohnte er in der Schwarenbergstraße 29 in Stuttgart. Er hatte nach sieben Jahren Volksschule drei Jahre eine Fortbildungsschule besucht. Einen Beruf hatte er jedoch nicht erlernt, seinen Lebensunterhalt bestritt er als Hilfsarbeiter.

Seit 1931 war er Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), die ihn mit der Funktion eines Zellenkassierers in Stuttgart betraute. In seiner Eigenschaft als KPD-Mitglied wurde er vom 21. oder 24. Juni 1933 bis zum 3. August 1933 im Konzentrationslager Heuberg bei Stetten am kalten Markt interniert. Danach war er als Bauarbeiter tätig und arbeitete zuletzt im Gleisbau bei dem Stuttgarter Bauunternehmen Julius Bach.

Am 26. oder 29. Oktober 1935 wurde er in Stuttgart verhaftet. Zu dieser Zeit war er ledig und hatte keine Kinder. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte ihn am 18. Februar 1937 wegen des – Kommunisten in der NS-Zeit häufig zur Last gelegten – Straftatbestandes „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu 2 Jahren und 3 Monaten Gefängnis. Die Strafhaft verbüßte er, abzüglich der bereits abgesessenen Untersuchungshaft, in Ulm bis zum 18. Februar 1938. Direkt im Anschluss nahm ihn die Gestapo – Stapoleitstelle Stuttgart – in Gewahrsam und verbrachte ihn über das Polizeigefängnis Welzheim am 25. März 1938 in das Konzentrationslager Dachau. Dort bekam er die Häftlingsnummer 13696 „Schutzhaft 2mal“ (da er bereits auf dem Heuberg in Schutzhaft gewesen war). Eingesetzt wurde er beim Kommando Garagenbau als Dachdecker.

Als anlässlich der zeitweiligen Umnutzung des KZ Dachau für Ausbildungszwecke der SS dieses geräumt wurde, kam Gottschalk mit einem 1600 Häftlinge umfassenden Sammeltransport am 27. September 1939 in das KZ Mauthausen. Hier musste er im Steinbruch arbeiten. Am 18. Februar 1940 wurde er nach Dachau rücküberstellt, erhielt nun die neue Häftlingsnummer 76 und wurde für Reinigungsarbeiten in den Unterkünften der Wachmannschaften herangezogen.

Nach der Befreiung erfolgte seine Freilassung gemäß dem in Dachau gängigen Verfahren. Am 15. Mai 1945 wurde für ihn auf der Grundlage seiner Angaben ein „Fragebogen für Insassen der Konzentrationslager“ der US-Militärregierung ausgefüllt und eine Woche später vom zuständigen US-Ausschuss seine Entlassung verfügt. Dieser Ausschuss bestand aus US-Militärs, darunter ein Vertreter der Special Allied Airborne Reconnaissance Force (SAARF, eine bei Kriegsende v.a. bei Kriegsgefangenenlagern eingesetzte Luftlandeeinheit) und ein Spezialagent des Counter Intelligence Corps (CIC, ein Nachrichtendienst des US-Militärs). Seine KZ-Karteikarte erhielt den roten Stempelaufdruck: „DELIVERED IN THE CAMP BY U.S. ARMY“. Als Heimat-Wohnadresse gab Gottschalk Stuttgart Wagenburgstraße 162 an. Unter den drei Bürgen, die der Haftentlassene für sich benennen sollte, befand sich auch sein ehemaliger Stuttgarter Mithäftling Friedrich Sutter.

Nach der Befreiung heiratete Heinrich Gottschalk. Seine Frau brachte eine Tochter mit in die Ehe. Von Juli bis einschließlich Oktober 1945 war er als Hausmeister und Bote bei der Rückführungsstelle für politisch Verfolgte in der Stuttgarter Mörikestraße tätig. Während dieser Zeit erhielt er statt Arbeitsentgelt Wohlfahrtsunterstützung. Ab 1. November war er dort angestellt und entlohnt. Die Rückführungsstelle wurde dann zur „Betreuungsstelle Stuttgart der vom Naziregime politisch Verfolgten“, der Vorläuferin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), mit Sitz in der  Wagenburgstraße 26. Im Juni 1947 wechselte Gottschalk von der VVN Württemberg-Baden zum Ministerium für politische Befreiung. Seit Anfang Oktober 1949 war er bei den Technischen Werken Stuttgart (TWS) beschäftigt, was einem damals praktizierten Verfahren entsprochen haben dürfte: die bei der Betreuungsstelle tätigen männlichen Personen wurden anfänglich formell bei Stadtbehörden wie Stuttgarter Straßenbahnen oder TWS eingestellt und dort dann beurlaubt, um bei der VVN arbeiten zu können. Später wurden diese Arbeitsverhältnisse aber gelöst und die Gelder für die Gehälter von der Stadtverwaltung über das Wohlfahrtsamt der VVN zur Verfügung gestellt. Gottschalk selbst war jedoch abweichend von dieser Regel mindestens noch Anfang der 1960er Jahre bei der TWS als Lagerarbeiter tätig.

Gottschalk, der von der Betreuungsstelle Stuttgart der vom Naziregime politisch Verfolgten am 21. September 1945 den KZ-Ausweis Nr. 28 erhalten hatte, beantragte am 25. November 1947 Wiedergutmachung für seine erlittene NS-Verfolgung. Unter der Rubrik „Angaben über den Umfang der Schädigung“ merkte er auf dem Antragsformular an: „kann noch nicht festgelegt werden, warte Wiedergutmachungsgesetz ab“, da die genaue Bestimmung der entschädigungsfähigen Verfolgungsgründe und Schäden noch in der Schwebe war. Im April 1949 wurde als zoneneinheitliches Gesetz vom Süddeutschen Länderrat (1946–1949) das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts erlassen, das im August in entsprechenden Ländergesetzen seinen Niederschlag fand. Die entschädigungsrechtlichen Bestimmungen blieben freilich auch danach erheblichen Veränderungen unterworfen.

Das Landesamt für die Wiedergutmachung gewährte Gottschalk Entschädigung für seine insgesamt 114 Monate politischer Haft. Bemerkenswert ist die Neubewertung der Mauthausen-Haft, nachdem er über die VVN aufgrund des 2. Änderungsgesetzes zum Bundesentschädigungsgesetz (BEG) Mitte der 1960er Jahre einen Neuantrag gestellt hatte. Nach § 141 BEG-Schlussgesetz wurde der Tatbestand der „Deportation“  – verstanden als Verschleppung ins Ausland – neu gefasst. Als Deportation galt nun auch die Verbringung in ein Konzentrationslager „außerhalb des Altreichsgebiets“, damit also auch in das im annektierte Österreich gelegene KZ Mauthausen. Zuvor wurde von den Wiedergutmachungsbehörden die Verschleppung nach Mauthausen entschädigungsrechtlich nicht als „Deportation“ angesehen, mit der völkisch gefärbten Begründung, dass dieser Ort „Teil des deutschen Siedlungsgebiets“ gewesen sei (vgl. Biografie Richard Nuber). Aufgrund der neuen Rechtslage erhielt Gottschalk wegen der Tatsache, dass er als Mauthausen-Häftling zeitweilig außerhalb des Altreichs inhaftiert gewesen war, im Jahr 1966 (!) eine „Soforthilfe" (!) für Rückwanderer in Höhe von 6.000 DM.

Der bei der VVN zuständige Alfred Hausser freute sich in einem Schreiben an den mit „lieber Kamerad“ angesprochenen Gottschalk über diesen Erfolg: „Es ist uns endlich mit dem neuen Gesetz gelungen, den Haftort Mauthausen als Deportationsort zur Anerkennung zu bringen“. Er schloss seinen Brief mit der Aufforderung an den Begünstigten: „Im Übrigen wirst du uns sicher nach Eingang der Zahlung auch eine Spende zur Verfügung stellen“.

Heinrich Gottschalk lebte seit November 1950 in seinem Eigenheim in Stuttgart-Riedenberg. Seine in Berlin-Spandau wohnhafte Schwester wähnte ihn für kriegsverschollen, da sie von ihm kein Lebenszeichen mehr erhalten hatte. Sie wandte sich im September 1958 deshalb wegen einer Todeserklärung an die für Auskünfte über Gefallene der Wehrmacht zuständige Deutsche Dienststelle (WASt). Über den Internationalen Suchdienst (ITS) in Arolsen erfuhr sie schließlich, dass ihr Bruder noch am Leben sei und sie mit ihm über die Stuttgarter VVN Kontakt aufnehmen könne.

Heinrich Gottschalk starb am 10. April 1975.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt seinen Wohnsitz vor seiner Verhaftung: Schwarenbergstraße 29 in Stuttgart.

 

Quellen

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.6.2 Individuelle Unterlagen Dachau
DocID: 10652213 (Heinrich GOTTSCHALK)
Korrespondenzakte T/D - 250 079

VVN-Archiv Stuttgart
WGA 253


© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Dezember 2022
www.kz-mauthausen-bw.de