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Hermann G. (1904 - 1944)

16.03.1940 KZ Mauthausen
25.07.1944 Tod im KZ Linz I

Hermann G. wurde am 18. März 1904 in Oberboihingen im heutigen Landkreis Esslingen geboren. Er hatte acht Geschwister und war evangelisch getauft. Hermann besuchte die Volksschule, anschließend die Gewerbeschule und erlernte das Gipserhandwerk. Sein Vater war im April 1923 verstorben, die Mutter im März 1933. Seit 1928 war er mit Gertrud R. verheiratet, die zwei Töchter und zwei Söhne mit in die Ehe brachte.

Im Februar 1927 stand G. wegen der Vergewaltigung einer „ihm unbekannten Frau“ erstmals vor Gericht und wurde zu drei Monaten und 15 Tagen Gefängnis verurteilt. 1936 stand er wegen „zwei Verbrechen wider die Sittlichkeit“ wiederum vor Gericht und wurde zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis sowie zum Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte für drei Jahre verurteilt. G. hatte seine beiden Stieftöchter wiederholt unter Einsatz von Gewalt sexuell missbraucht. Dies kam aufgrund eines anonymen Schreibens zur Anzeige. Er räumte „seine Verfehlungen“ vor Gericht ein, konnte sie sich jedoch nicht erklären. Womöglich seien sie die Folge eines früheren Sturzes von einem Gipsergerüst, weswegen er „seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig sei“. Seine Stieftöchter brachten vor, sich gegen ihn gewehrt, jedoch aus Angst ihrer Mutter nichts von den Vorfällen erzählt zu haben. Getrud G. verzieh ihrem Angetrauten, besuchte ihn regelmäßig im Gefängnis und nahm ihn nach seiner Entlassung am 17. März 1938 wieder bei sich auf. Bereits im Februar 1938 hatte sie in einem Brief an die Gefängnisleitung darum gebeten , ihr die Entlassungsuhrzeit mitzuteilen, um ihn abholen zu können: „Ich möchte meinen Mann in der ersten Stunde seiner Freilassung nicht allein lassen, man weiss ja nie, in welch schlechte Gesellschaft er geraten könnte...“. Wenige Monate später, im September 1938, stand G. erneut wegen eines nächsten "Verbrechens wider sie Sittlichkeit" vor Gericht und wurde vom Tübinger Landgericht zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Strafe verbüßte er im Zuchthaus Ludwigsburg. Seine Schwestern schrieben ihm kurze Zeit nach seiner Verhaftung „Verstoßen haben wir Dich noch nie!“, machten jedoch ihren weiteren Kontakt mit ihm davon abhängig, dass er den Kontakt zu seiner Frau beende. „Wenn Du wieder zu ihr gehst, dann bist Du von uns ausgeschalten. Du kannst nach den 1 ½ Jahren zu uns kommen. Dann hast Du eine Heimat, bei uns kannst Du dann auch friedlich leben.“
Dieses Mal fürchtete Gertrud G. die Haftentlassung ihres Angetrauten. Sie war inzwischen mit den Kindern aus Oberboihingen weggezogen und wandte sich am neuen Wohnort an den dortigen  Bürgermeister mit der Bitte, sie vor ihrem Mann zu schützen, „da er zu Gewalttätigkeiten neige“. Der Bürgermeister setzte sich mit der Zuchthausverwaltung in Ludwigsburg in Verbindung, die G. dazu befragte. Er gab an, nicht daran zu denken, sich an seiner Familie zu vergreifen. Laut Aussage der Zuchthausverwaltung sei er während seiner Haftzeit willig und fleißig gewesen und „habe die ihm übertragenen Arbeiten pünktlich und gewissenhaft ausgeführt“.

Aus den Strafgefangenenakten geht nicht hervor, ob G. auf Veranlassung der Kriminalpolizei Stuttgart unmittelbar nach Strafende oder zu einem späteren Zeitpunkt in „polizeiliche Vorbeugungshaft“ genommen wurde. Laut Schreibstubenkarte des Konzentrationslagers Dachau wurde seine Einweisung am 10. August 1940 registriert. Geführt wurde er dort als Häftling in  „polizeilicher Sicherungsverwahrung“ (PSV), trug die Nummer 14322 und war mit dem grünen Winkel der „Kriminellen“ gekennzeichnet. Nur sechs Tage später, am 16. August 1940, ist seine Aufnahme in das KZ Mauthausen vermerkt. Hier wurde aus der bisherigen Kategorie „PSV“ ein „BV“ („Berufsverbrecher“), die Häftlingsnummer war 2633, der Winkel blieb grün. Laut Todesmeldung wurde der inzwischen 38-Jährige am 25. Januar 1943 in Linz das Opfer eines Fliegerangriffs. Da an diesem Tag kein Fliegerangriff auf Linz bekannt ist, handelt es sich, wie häufig geschehen, um eine fingierte Angabe. Hermann G. erlag den mörderischen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Das Außenlager Linz I bestand seit dem 11. Januar 1943. Die dortigen Häftlinge mussten im Straßenbau und bei Schlacke- und Stahlwerksarbeiten schuften.

Im Raum der Namen auf der Homepage der Gedenkstätte Mauthausen wird Hermann G. zusammen mit mehr als 84.000 im Lagersystem Mauthausen verstorbenen Häftlingen genannt. Dies ist vermutlich ein erster und bisher einziger öffentlicher Hinweis auf sein Verfolgungsschicksal.

Die Markierung auf der Übersichtskarte weist auf den Ort Oberboihingen, die genaue Adresse vor der Verhaftung ist nicht bekannt.

 

Quellen
Staatsarchiv Ludwigsburg E 356 d V Bü 2149 und Bü 1403

ITS Digital Archive, Arolsen Archives:
1.1.26 Todesmeldung Mauthausen/ Hermann G.
1.1.6 Schreibstubenkarte Dachau/ Hermann G.

 

© Text und Recherche:
Ingrid Bauz, Stuttgart
Stand: Dezember 2021
www.kz-mauthausen-bw.de