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Josef Rothweiler (1891 - 1944)

"Bruch der Lebenslinie"

29.01.1941 gerichtliche Anordnung der Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt
25.02.1941 Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen
29.10.1942 Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch
06.05.1944 KZ Mauthausen
08.11.1944 Tod in Tötungsanstalt Hartheim

Josef Rothweiler wurde am 10. Februar 1891 in Aasen (heute ein Ortsteil von Donaueschingen) geboren. Er hatte zwei Brüder und drei Schwestern. Er besuchte acht Jahre die Volksschule, wo er nach eigenen Angaben immer gut mitgekommen sei und durchschnittlich gute Zeugnisse erhalten habe. Nach der Schulentlassung arbeitete er im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb mit. Ein Bruder fiel im Ersten Weltkrieg und 1917 starb der Vater an einer Lungenentzündung.

Auf Antrag des Vaters wurde Josef Rothweiler am 4. Juli 1912 in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau im badischen Achern (die Anstalt war bis 1940 in Betrieb und wurde dann von den Nationalsozialisten nach Ende der Krankenmord-Aktion T4 am 19. Dezember 1940 aufgelöst) aufgenommen. Vorausgegangen war ein tätlicher Angriff auf den Vater. In den Illenauer Krankenakten ist von einer deutlichen Verhaltensänderung Josef Rothweilers die Rede, so habe er so gut wie nichts mehr mit seinen Eltern gesprochen, sei meistens im Bett gelegen und habe unmotiviert vor sich hingelacht, oder sei planlos in der Gegend herumgelaufen. Nachts sei er allerdings häufig in einen starken Erregungszustand geraten, habe laut geschrien und um sich geschlagen. Auch gab Rothweiler selbst an, dass er sich gegenüber früher verändert fühle und nicht mehr froh sein könne. Nach Angaben der Anstaltsärzte war die Diagnose unsicher und schwankte zwischen den Befunden "Schizophrenie" und "Melancholie". Am 3. August 1912 holte der Vater gegen den Rat der Ärzte seinen Sohn wieder nach Hause.

Später brachte Josef Rothweiler seine eingetretene Wesensveränderung in Zusammenhang mit einer Zurücksetzung in Erbschaftsangelegenheiten: "Im Jahr 1912 gab es einmal zu Hause Streit. Meine Eltern haben damals gesagt, dass nicht ich, sondern einer meiner jüngeren Brüder den Hof erhalten solle. Darüber war ich sehr erbittert und bekam mit meinen Eltern Streit. Mein Vater erklärte mich damals als geistig nicht normal und verbrachte mich in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau."

Josef erhielt noch zu Lebzeiten des Vaters eine Abfindung von 2000 Reichsmark (die allerdings durch die horrende Inflation Anfang der 1920er wertlos wurden) und lebenslanges Wohnrecht auf dem elterlichen Bauernhof. Nach dem Tod des Vaters leitete zunächst die Mutter den Hof und überschrieb ihn dann 1924, wie vorgesehen, auf den Bruder A. Josef arbeitete weiterhin auf dem Hof und bekam von seinem Bruder im Sommer dafür ein Taschengeld von einer Mark pro Woche und "Werktagskleider", im Winter gar nichts.

Vom 20. Mai bis 15. August 1940 war er als dienstverpflichteter Hilfsarbeiter - vermutlich beim Reichsarbeitsdienst RAD - beim Flugplatzbau in Donaueschingen tätig. Mit dem dabei verdienten Geld kaufte er sich die benötigten Kleider und legte auch etwas zurück. Nach seiner Entpflichtung arbeitete er wieder auf dem Hof des Bruders, bekam jetzt aber überhaupt keine Zuwendungen mehr mit dem Argument, er verfüge ja noch über Ersparnisse.

Am 30. September 1940, als der Bruder auf dem Schweinemarkt war, zündete Josef Rothweiler die auf dem Getreidespeicher gelagerten Hafergarben an und lief vom Hof. Bei seiner Vernehmung gab er als Motiv für die Brandstiftung an: "Weil mein Bruder durch die Übergabe des Hofes ein großes Vermögen erhalten hat, ich selbst aber nun gar nichts mehr habe und auf meinen Bruder angewiesen war, habe ich den Entschluss gefasst, meinem Bruder das Haus anzuzünden. Ich dachte mir, dass er auch nicht so viel haben solle, wenn ich nichts habe."

Josef hatte nach der Tat zunächst die Absicht gehabt, seinen Heimatort Aasen ganz zu verlassen und deshalb seine Arbeitspapiere eingesteckt und seinen Sonntagshut aufgesetzt. Er ging zu Fuß über die Felder in die umliegenden Dörfer und kehrte dort in verschiedenen Wirtshäusern ein, fuhr dann aber abends mit dem Postbus nach Aasen zurück. Dort nahm ihn ein Gendarmeriemeister wegen der Brandstiftung vorläufig fest, brachte ihn für die Nacht im Arrestlokal Donaueschingen unter und überführte ihn am nächsten Tag ins dortige Gerichtsgefängnis. Nach Schlussbericht des Gendarmeriemeisters machte Josef Rothweiler einen "ganz vernünftigen Eindruck und nicht den eines geistig nicht Normalen".

Der Oberstaatsanwalt des Landgerichtes Konstanz, vor dem das Verfahren wegen Brandstiftung verhandelt werden sollte, forderte ein psychiatrisches Gutachten über den Geisteszustand von Josef Rothweiler beim staatlichen Gesundheitsamt Donaueschingen an. Darin sollte vor allem die Frage der Schuldfähigkeit geklärt werden. Dieses ging ihm am 27. November 1940 zu.

Die Beobachtungen der Heilanstalt Illenau vom Juli 1912 wurden darin weitgehend bestätigt bzw. die Symptome hätten sich weiter verstärkt. Josef Rothweiler, der zuvor von seiner Umgebung als lebensfroher, verträglicher Mensch wahrgenommen worden sei, der einen Freundeskreis besessen habe, hätte sich nun immer wieder völlig zurückgezogen, kaum noch gesprochen, schien von nichts mehr berührt und hätte lediglich des öfteren "läppisch" vor sich hingelacht. Diese Phasen völligen Rückzugs seien aber immer wieder von plötzlich auftretenden hochgradigen Erregungszuständen unterbrochen worden, bei denen er seine Umgebung aus geringsten Anlässen heftig beschimpft und Mobiliar und andere Gegenstände zertrümmert habe, wobei es auch zu gewalttätigen Übergriffen gegen die Frau seines Bruders gekommen sei. Dieser habe er mit einem Gegenstand eine Kopfverletzung zugefügt, weil sie etwas Milch verschüttet hatte und ihr bei anderer Gelegenheit mehrere Zähne ausgeschlagen.
Bei der Untersuchung habe Josef Rothweiler die an ihn gerichteten Fragen schnell aufgefasst und auch sinngemäß beantwortet, sei ansonsten aber durch seine völlige Interesselosigkeit und "krankhafte Gleichgültigkeit" aufgefallen: "Nichts vermochte ihn anzuregen oder aufzurütteln. Er fühlte wenig Bedürfnis, sich auszusprechen, die Brandlegung irgendwie zu begründen, oder die ihm aus den Akten vorgehaltenen Handlungen näher zu erklären."
In der abschließenden Beurteilung hieß es, dass es bei Josef Rothweiler zu einem gewissen Zeitpunkt zu einem Bruch der Lebenslinie gekommen sei, die zu einer Veränderung der gesamten Persönlichkeit geführt habe. "Stimmungsanomalien", "unberechenbare und unverständliche Handlungsweisen, alles schubweise hervortretend, aber langsam und unaufhaltsam zunehmend", all diese Symptome sprächen für eine schleichende schizophrene Erkrankung. Zugleich sei er mit der Zeit "in einen gewissen Negativismus hineingeraten, der sich gegen alles ablehnend verhält". Er sei vollkommen unbeeinflussbar, alle Vorschläge weise er zurück und handle lediglich im Sinne seiner "wirklichkeitsfremden Einstellung". Daher lägen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 (Schuldunfähigkeit) vor und machten eine Unterbringung in einer Heilanstalt nach § 42 a Reichsstrafgesetzbuch dringend erforderlich.

Am 23. Dezember 1940 wurde Josef Rothweiler vorläufig vom Gefängnis Donaueschingen in die Heil- und Pflegeanstalt Konstanz überstellt. Die Hauptverhandlung wegen der Brandstiftung fand am 29. Januar 1941 vor dem Landgericht Konstanz statt. Das Gericht folgte dem psychiatrischen Gutachten und ordnete die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt an. Von der Heilanstalt Konstanz aus kam Josef Rothweiler am 25. Februar 1941 in die Heilanstalt Emmendingen. Am 29. Oktober 1942 wurde er in die Heilanstalt Wiesloch verlegt.

Um den Konzentrationslagern immer weitere Arbeitssklaven zuzuführen, griff Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler schließlich auch auf die arbeitsfähigen forensischen Anstaltspatienten zu. Die Leitungen verschiedener Anstalten in Baden und Württemberg listeten in diesem Zusammenhang im Laufe des Jahres 1943 „abgabefähige“ Patienten auf, die im Frühjahr 1944 von Kripobeamten aus den Anstalten abgeholt und ins KZ Mauthausen deportiert wurden. Am 27. April 1944 teilte die Heilanstalt Wiesloch dem Oberstaatsanwalt beim Landgericht Konstanz mit, dass Josef Rothweiler "heute in das Konzentrationslager Mauthausen verlegt worden" sei. Der Zusatz: "Wir weisen daraufhin, daß zufolge Weisung des Herrn Reichsministers der Justiz die Vollstreckung als mit der Herausgabe bis auf weiteres unterbrochen gilt", macht deutlich, dass den Beteiligten bewusst war, dass damit der forensische Patient Rothweiler der Obhut der Justiz entzogen und der SS-Willkür ausgeliefert wurde.

Image
Rothweiler, Josef, FP, Verlegung
Nachricht über die Verlegung ins KZ Mauthausen vom 27.4.1944, Staatsarchiv Freiburg D 81/1 Nr. 595

Am 6. Mai 1944 wurde Rothweiler im KZ Mauthausen mit der Häftlingsnummer 65452 und der Kategorie "SV" (Sicherungsverwahrter) registriert. Am 8. November 1944 wurde er in der nahegelegenen, als "Erholungsheim" getarnten Tötungsanstalt Schloss Hartheim durch Gas ermordet.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Josef Rothweilers Geburtsort Aasen (Donaueschingen).


Quellen

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Mauthausen, Josef Rothweiler

Staatsarchiv Freiburg
B 821/2 Nr. 11050 (Heilanstalt Illenau)
D 81/1 Nr. 595 (Landgericht Konstanz)

Memorial Mauthausen: Josef Rothweiler
(https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/)


© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Januar 2024
www.kz-mauthausen-bw.de