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Karl Apprich

(geb. 1902)

„... nicht in der Lage, auf politischem Gebiet das Maß an Achtung zu erringen, das für eine Wiedergutmachung erforderlich wäre“

 

19.01.1939 Anordnung der Sicherungsverwahrung
04.03.1943 KZ Mauthausen
08.04.1943 KZ Auschwitz
06.02.1944 KZ Flossenbürg
10.04.1945 Befreiung durch US-Armee in Pegnitz (im heutigen Landkreis Bayreuth)

 

Am 19. Januar 1939 verurteilte das Landgericht Ellwangen Karl Apprich, der zum Zeitpunkt des Verfahrens bereits im Gefängnis Ulm inhaftiert war, zu viereinhalb Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Urteilsbegründung gibt auf 25 Seiten die Lebensstationen Apprichs mit Schwerpunkt auf seiner kriminellen Karriere wieder. Mangels anderer Quellen beruht die Darstellung seiner Lebensgeschichte bis zum Zeitpunkt seiner Deportation ins Konzentrationslager im Wesentlichen auf dieser Gerichtsquelle.

Karl Apprich wurde am 19. Februar 1902 in Offenbach am Main als Sohn eines Silberschmieds geboren und katholisch getauft. Die siebenköpfige Familie (mit drei Schwestern und einem Bruder) zog 1910 nach Schwäbisch Gmünd. 
Karl besuchte zuerst in Offenbach die Volksschule, dann in Schwäbisch Gmünd. Nach dem Schulabschluss absolvierte er eine dreijährige Lehre als Installateur bei den dortigen Städtischen Betriebswerken. 1918 legte er die Gesellenprüfung "mit gutem Erfolg" ab. 
Es folgten Gelegenheitsarbeiten, bis er sich im März 1919 freiwillig zur Reichswehr meldete. Er kam zum Fußartillerieregiment in Niederzweren bei Kassel und wurde bei Kämpfen in Niederschlesien und in München eingesetzt. 1920 wurde er aus diesem Regiment entlassen, trat aber im selben Jahr beim Jägerregiment Heilbronn ein und beteiligte sich mit diesem an den Ruhrkämpfen.1 Ende 1920 schied er auf eigenen Wunsch aus und erhielt die vorgeschriebene Abfindung. Er kehrte zu seinen Eltern zurück und betätigte sich als Bauhilfsarbeiter in Schwäbisch Gmünd und Stuttgart.

1923/24 trat Karl Apprich in Stuttgart in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein. 1925 zog er zurück nach Schwäbisch Gmünd und betätigte sich dort als Funktionär der KPD und Literaturobmann der KPD-Ortsgruppe. Etwa 1929 trat er wegen persönlicher Differenzen aus der KPD aus, für die er sich nun "offiziell" nicht mehr engagierte.

Am 3. Oktober 1925 heiratete er die Schreinerstochter Josefine Hillenbrand aus Waldstetten. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor (1926, 1928 und 1930), die teilweise später in Fürsorgeerziehung kamen. Am 17. April 1935 wurde die Ehe durch die Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen geschieden: "Die Urteilsgründe entrollen ein Bild ungewöhnlicher sittlicher Verkommenheit und Schamlosigkeit auf Seiten beider Eheleute (der Ehemann verkuppelte die Ehefrau; sie machte die Lohndirne; in Verbindung damit geschahen Diebstähle und Erpressungen usw.)."
In den Jahren 1925 bis 1933 war Karl Apprich häufig arbeitslos und erhielt zehn Vorstrafen: "in der Regel handelte es sich um Taten im Anschluss an übermäßigen Alkoholgenuss in lockerer Gesellschaft", wie das Gericht bei seiner Verurteilung 1933 befand.

Nach Verbüßung einer 16monatigen Strafe im Gefängnis von Schwäbisch Hall arbeitete er beim Baugeschäft Apprich (die Namensgleichheit legt ein verwandtschaftliches Verhältnis nahe) in Aalen. 
"In der Folge betätigte er sich in Aalen in Auswirkung seiner nie aufgegebenen Anhänglichkeit an die kommunistische Partei in zersetzendem Sinne und wurde deshalb (Tatzeit Mai 1937 - Mitte September 1937) wegen Förderung der illegalen KPD und wegen Mundpropaganda [...] eines Verbrechens der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vom 2. Strafsenat des OLG Stuttgart schuldiggesprochen und zu der Gefängnisstrafe von 2 Jahren verurteilt. Diese Strafe verbüßte er seit 20. September 1938 in Ulm."

Die Klärung der Frage einer eventuell an die Strafhaft anschließenden Sicherungsverwahrung überließ das Oberlandesgericht Stuttgart einem wegen eines anderen Delikts folgenden Verfahren vor dem Landgericht Ellwangen im Januar 1939, das Apprich dann als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher beurteilte. Er habe die Tochter einer Bekannten zur Abtreibung überredet und "als sie dann infolge des, ohne jede Vorsichtsmaßnahme durchgeführten, Eingriffs im Anschluss an den Abgang der Frucht mit über 40° Fieber 2 Wochen lang todkrank war, nutzte er auch diesen Zustand in schnödester und gemeinster Weise zum Geldgewinn aus", indem er von der Mutter mehrmals Geld verlangt habe, um angeblich Medikamente kaufen zu können. Außerdem soll er "ohne die geringsten Skrupel und kalten Sinnes" die Herbeirufung eines Arztes verhindert haben. Da von Apprich weiterhin erhebliche Gefahr ausginge, müsse Sicherungsverwahrung angeordnet werden.
Eine Revision Apprichs gegen das Urteil wurde am 29. August 1939 vom Reichsgericht Leipzig verworfen.

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Erkennungsdienstliches Foto v. Karl Apprich, StAL E 356 d V Bü 2642

Am 25. April 1939 erfolgte seine Verlegung von der Krankenabteilung des Zuchthauses Ludwigsburg (auf dem Hohenasperg) in die psychiatrische Abteilung des Gefängnisses Bruchsal. Karl Apprich hatte vorgegeben, er könne seine Beine nicht gebrauchen, da sie gelähmt wären (einer früheren Beurteilung zufolge hatte er die meiste Zeit seiner Gefängnisstrafen im Bett verbracht, da er ja seine Beine nicht benutzen könne). Die Ärzte auf dem Hohenasperg konnten jedoch keinen medizinischen Befund erkennen und vermuteten, er simuliere nur. In Bruchsal sollte er dazu gebracht werden, seine Beine wieder zu bewegen. 
Mit Erfolg, wie die Staatsanwaltschaft Ellwangen am 19.6.1939 berichtete: "Bei der ersten Behandlung mit faradischem Strom [Faradisation: niederfrequente Reizstromtherapie mit  kurzen elektrischen Impulsen, S.B.] sprang Apprich auf und suchte seine Zelle selbständig zu Fuss auf. Apprich war geheilt bis auf den heutigen Tag, es haben sich nicht die geringsten Nachbehandlungen mehr als nötig erwiesen."

Apprich wurde zurück ins Zuchthaus Ludwigsburg gebracht. Von dort wurde er auf Weisung der Kriminalpolizei Stuttgart am 3. März 1943 in das Konzentrationslager Mauthausen verschubt.
Er fiel damit unter die im September 1942 von Reichsjustizminister Otto Georg Thierack und dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler vereinbarte schubweise Auslieferung aller Sicherungsverwahrten an die Polizei (nur Gestapo oder Kripo konnten, über Antrag beim Reichsicherheitshauptamt, KZ-Einweisungen vornehmen). In den Konzentrationslagern sollten sie - wie es explizit hieß - der „Vernichtung durch Arbeit“ preisgegeben werden.

Nach seiner Ankunft im KZ Mauthausen wurde er am 4. März 1943 mit der Kategorie "SV" (Sicherungsverwahrung) versehen und erhielt die Häftlingsnummer 24332. Bereits einen Monat später, am 8. April 1943 wurde er in das Auschwitznebenlager Buna verlegt, am 6. Februar 1944 dann in das KZ Flossenbürg (Häftlingsnummer 4118). Nach eigenen Angaben kam er von dort mit einem Evakuierungsmarsch ins oberfränkische Pegnitz, wo er am 10. April 1945 durch die 7. US-Armee befreit worden sei (möglicherweise täuschte sich Apprich hier bezüglich des Datums, denn die Evakuierungsmärsche aus Flossenbürg begannen nach bisherigem Forschungsstand erst Mitte April 1945).

Nach dem Krieg wohnte Karl Apprich bis 1949 in Lauffen am Neckar, heiratete dann und zog mit seiner Frau in den Essener Stadtteil Westviertel (Nordrhein-Westfalen). Er stellte sowohl in Stuttgart als auch in Köln Wiedergutmachungsanträge für die erlittene KZ-Haft.
Am 10. Januar 1955 lehnte das Landesamt für die Wiedergutmachung Baden-Württemberg seinen Antrag auf Entschädigung vom 15. Juli 1950 mit folgender -   angesichts dessen, dass NS-Täter sich zu dieser Zeit bereits wieder in Amt und Würden befanden zynisch anmutenden - Begründung ab:
"Nicht jedem, dem in der Verfolgungszeit durch nationalsozialistische Maßnahmen ein Unrecht zugefügt wurde, gibt das Gesetz einen Entschädigungsanspruch. [...]
Sie geben an, wegen Ihrer gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung verfolgt worden zu sein. Den Beweis, Funktionär der KPD gewesen zu sein und für diese Partei nach der Machtübernahme illegal gearbeitet zu haben, haben sie jedoch nicht erbracht. Indessen kommt es hierauf deswegen nicht an, weil Sie im Hinblick auf Ihre 26 Vorstrafen nicht als achtbarer Träger einer politischen Überzeugung angesehen werden können. Wie das Landgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 22.3.1951 - EGR416 - ausführt, muss sich derjenige, der für sich in Anspruch nimmt, wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt worden zu sein, daraufhin prüfen lassen, ob er seiner ganzen Persönlichkeit nach im politischen Leben, das heißt also, in den öffentlichen Angelegenheiten des Volkes seine Stimme erheben darf. Ihre zahlreichen Vorstrafen wegen Diebstahls, schweren Diebstahls, Hehlerei, Unterschlagung, Betruges im Rückfall zeigen, dass Sie nicht in der Lage sind, sich auf politischen Gebiet das Maß an Achtung zu erringen, das erforderlich wäre, um in Ihnen eine achtenswerte Persönlichkeit zu sehen. Fehler und Verfehlungen, die den Persönlichkeitswert beeinträchtigen, berühren zugleich den Wert der politischen Überzeugung ihres Trägers.
Ihr Begehren muss daher erfolglos bleiben."

Am 5. Mai 1969 wandte Karl Apprich sich an die Zuchthausverwaltung Ludwigsburg:
"Ich bitte um eine Bescheinigung, wann ich in die dortige Anstalt eingeliefert wurde, und auf wessen Veranlassung ich am 3.3.1943 ins KZ Mauthausen überführt wurde."
Er erhielt die Antwort: er sei am 10.10.1939 in Ludwigsburg eingeliefert worden. Der Grund für die Überführung nach Mauthausen sei aus den "hiesigen Unterlagen nicht ersichtlich".

Bis Mai 1971 lassen sich Spuren der Auseinandersetzung um eine  Wiedergutmachung finden, uns ist jedoch nicht bekannt, ob er jemals irgendeine Entschädigung für das ihm widerfahrene Unrecht erhalten hat.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Karl Apprichs letzte frei gewählte Wohnadresse Untere Wörthstraße 3 in Aalen.

  • 1

    Der Ruhraufstand oder auch Ruhrkampf war ein Aufstand im März 1920, initiiert von Arbeitern des Ruhrgebiets, aber unterstützt von einem breiten Bündnis der linken Arbeiterparteien, zur Abwehr des rechtsgerichteten Kapp-Putsches vom 13. März 1920. Nach der Niederlage der Putschisten am 17. März 1920 verlangte die ins Amt zurückgekehrte Reichsregierung von den Arbeiterräten den Aufstand zu beenden, was diese jedoch ablehnten. Ende März 1920 marschierten Reichswehreinheiten, aber auch Freikorps ins Ruhrgebiet ein, um den Aufstand niederzuschlagen. Dabei begingen sie zahlreiche Greueltaten wie Massenerschießungen an den Kämpfern der Roten Ruhrarmee.

Quellen

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.8.3. Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Flossenbürg, Karl Apprich
Korrespondenzakte TD 967335

Staatsarchiv Ludwigsburg
E 356 d V Bü 2642
EL 350 I Bü 26147

 

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