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Karl Eberhardt "Eberhardo" (1907 - 1940)

Aus Lothringen stammender Fahnenjunker

November 1935 Verhaftung, U-Haft Dresden
30.04.1936 Psychiatrische- und Nervenklinik Löbtau
20.09.1937 Zuchthaus Ludwigsburg
24.02.1938 Polizeigefängnis Stuttgart, anschließend Welzheim
25.03.1938 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Mauthausen
08.06.1940 Entlassung aus KZ-Haft
25.10.1940 gestorben

Image
Eberhard_Karl_StAL
Karl Eberhardt, erkennungsdienstliches Foto vom 19. Oktober 1937,
StAL E 356 d V Bü 1770


Otto Karl Eberhardt wurde am 30. November 1907 im lothringischen Niederjeutz (Basse-Yutz) geboren. Der Ort befindet sich rund 30 Kilometer nördlich der Stadt Metz und lag im damals überwiegend deutschsprachigen Teil Lothringens, dem 1871 neu geschaffenen und dem Deutschen Kaiser unterstellten Reichsland Elsass-Lothringen.

Karls Eltern waren die gelernte Verkäuferin Anna Eberhardt, geborene Rieß, und ihr Ehemann, der 1885 geborene Kaufmann Melchior Eberhardt, der in Calw die Volks- und Handelsschule besucht hatte. Karl Eberhardt hatte zwei Geschwister: einen Bruder, der im Alter von zwei Jahren verstarb, und eine 1911 geborene Schwester, die später als fremdsprachliche Stenotypistin tätig war. Karl besuchte an seinem Geburtsort die Volksschule.

Nach dem Vertrag von Versailles wurde 1919 das Reichsland Elsaß-Lothrigen aufgelöst und von Frankreich verwaltet. Daraufhin wurden nach 1870 eingewanderte Personen deutscher Abstammung und deren Nachkommen vertrieben. Erwachsene durften 30 kg Gepäck und 2000 Mark mitnehmen, pro Kind war die Mitnahme von 500 Mark erlaubt. Die übrigen Besitztümer wurden vom französischen Staat eingezogen. Zu den Vertriebenen dürfte auch die Familie Eberhardt gehört haben. Karl Eberhardt sprach später allerdings von einer „freiwilligen Rückwanderung“, durch die er seine Heimat verloren und die Familie wirtschaftliche Nachteile erlitten habe.

Die Familie ließ sich dann in Heidenheim an der Brenz nieder, wo der Vater einen Papiergroßhandel betrieb und die Mutter ebenfalls im Geschäft tätig war. Karl besuchte die Oberschule bis zur Obersekundareife: „Ich war jedes Jahr Primus u. erhielt jedes Jahr einen Preis. Meine Lieblingsfächer waren moderne Sprachen. Nach der Schulzeit kaufmännische Lehrzeit u. Handelsschule“ (selbstverfasster Lebenslauf, wie auch im Folgenden). Die kaufmännische Lehre absolvierte er bei der Berufskleiderfabrik Heidenheim Hof & Gnann. „Da mir bereits damals meine verlorene Heimat über alles ging, wechselte ich den Beruf. Ich war der Ansicht, dass Deutschland früher oder später wieder Anspruch auf Elsass-Lothringen erheben würde und ging zum Militär“. Dort, bei der Reichswehr, in die er im Februar 1927 eingetreten war, machte er das Abitur nach und schlug die Offizierslaufbahn ein. Als Offiziersanwärter hatte er den Dienstgrad eines Fahnenjunkers auf der Kriegsschule Dresden.

„Während ich auf Infanterieschule in Dresden war, nahm ich Verbindung mit Landtagsabgeordneten der KPD auf und schrieb auch Artikel und Aufsätze für Zeitungen dieser Partei. Ich war durch den Fall Scheringer beeinflusst u. zu unerfahren. Ich glaubte, dass die nationale Befreiung nur in Verbindung mit einer Lösung der sozialen Fragen u. mit Hilfe der KPD zu erreichen sei“. Der Fall Scheringer hatte damals großes Aufsehen erregt. Richard Scheringer war wegen des Versuchs, eine nationalsozialistische Zelle innerhalb der Reichswehr aufzubauen, verurteilt worden. Während seiner Strafhaft war er mit einsitzenden Kommunisten in Kontakt gekommen und hatte sich von deren politischen Ideen überzeugen lassen. Am 19. März 1931 verlas ein kommunistischer Abgeordneter im Reichstag eine Erklärung, in welcher der gewendete Nazi-Offizier sich offen zu den Zielen der KPD bekannte: „Ich reihe mich als Soldat ein in die Front des wehrhaften Proletariats“. Scheringer wurde deshalb wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ erneut zu einer Haftstrafe verurteilt.

Karl Eberhardt, der auf seine Weise dem Vorbild Scheringers gefolgt war, wurde wegen seiner Hinwendung zur KPD, kurz bevor er sein Offizierspatent erhalten sollte, 1932 aus der Reichswehr ausgestoßen und angeklagt. Das Reichsgericht Leipzig sprach ihn jedoch am 10. Dezember 1932 frei. Nach seiner Militärzeit arbeitete er in der väterlichen Großhandlung. In politischer Hinsicht trat bei ihm erneut ein Gesinnungswandel ein. Am 1. Mai 1933 wurde Eberhardt Mitglied der NSDAP. In einem Schreiben gab er selbst später an, dass er zweieinhalb Jahre lang seine militärischen Kenntnisse den Nationalsozialisten zur Verfügung gestellt habe. Da er auch der SA in Heidenheim angehörte, wird vermutet, dass er an deren militärischem Aufbau beteiligt war.

Am 6. August 1935 heiratete er die Arbeiterin Maria Wiedenmann; Ende Juni 1936 kam ein Sohn zur Welt. Diesen sollte Eberhardt allerdings nie zu Gesicht bekommen, denn im November 1935 war er wegen seines früheren temporären Engagements für die Ziele der KPD verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis Dresden verbracht worden. Am 24. August 1937 verurteilte ihn der Volksgerichtshof in eben dieser Sache unter Aufhebung des Freispruchs des Reichsgerichts zu zwei Jahren sechs Monaten wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ abzüglich der zweijährigen Untersuchungshaft. Zur Verbüßung seiner Reststrafe wurde er vom Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit in das Zuchthaus Ludwigsburg verlegt. Laut dortiger Unterlagen trug er die Haft „schwer“.

Der vorgesehene Entlassungstag war der 24. Februar 1938 und Eberhardt war vorsichtig optimistisch, dass er die Freiheit wiedersehen würde. Ende Januar 1938 äußerte er sich er in einem Brief an seine Eltern und seine Schwester über seine Zukunftspläne. Sein Vater solle ihn am Entlassungstag abholen. „Wenn ich nicht komme, dann soll er im Zuchthaus sich erkundigen. Die politischen Gefangenen werden nämlich in der Regel nach Ablauf der Strafzeit in Konzentrationslager verschickt. Dies bestimmt die politische Polizei [also die Gestapo] und es wird einem laut Erfahrung erst im letzten Moment mitgeteilt. Ich glaube aber kaum, dass man dies jetzt noch mit mir wagt [...]. Ferner besteht noch die Möglichkeit, dass ich per Gefangenen-Transport an die frz. Grenze gebracht werde, denn ich weise bereits seit zwei Jahren ganz entschieden die Deutsche Staatsangehörigkeit zurück“. Er sei „mehr Franzose als Deutscher. Papas Vorfahren stammen von keltischen Ur-Einwohnern ab, Mama's Vorfahren im wesentlichen von unterdrückten Slaven. Ich hab doch Rassenkunde schon längst studiert“. Im übrigen beabsichtige er, eine Abänderung seines Familienamens in „Eberhardo“ des eher romanischen Klanges wegen zu beantragen. „Ich bin doch lieber Monsieur Charles Eberhardo in guter, voraussichtlich vorzüglicher pekuniärer u.gesellschaftlicher Situation als Karl Eberhardt, nach deutschem Recht u. Mentalität Zuchthäusler, Mensch 6. Güte; im Kriegsfall verwendungsfähig“. In der Haft habe er sein Gedächtnis trainiert: „Wenn ich wieder ein Jahr Freiheit hinter mir habe, dann beherrsche ich 16 Sprachen in Wort u. Schrift“. Sofort nach seiner Zuchthausentlassung wolle er „in Stuttgart Antrag auf Namensänderung und passeport francais stellen. - Hilde soll in meinem Führerschein den Beruf radieren u. mit Schreibmaschine ‚Dolmetscher‘ einsetzen. Den Führerschein als Ausweis fürs Konsulat mitbringen“. Umgehend wolle er sich bei französischen Zeitungen wie „Le Temps“ und „Le Matin“ bewerben. Auch verschwieg er nicht sein Grundmotiv für die geplanten konkreten Schritte: „Ich bin gewillt, Misshandlungen, wie ich sie über mich ergehen lassen musste, für mich und meine Nachkommen unmöglich zu machen“.

Misshandlungen war Eberhardt in mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tatsächlich ausgesetzt gewesen. Während seiner Haft in Dresden war er am 30. April 1936 auf Veranlassung des Polizeipräsidenten zu Dresden in die Psychiatrische- und Nervenklinik Stadtkrankenhaus Löbtau eingewiesen worden: „Ich hatte das Bewusstsein verloren. Schuld daran war die Behandlung von Seiten der politischen Polizei in Dresden. Insbesondere war ich lange Zeit Tag und Nacht gefesselt. Die Fesselung erfolgte zum Zwecke der Geständniserpressung. Antrag auf Entmündigung und Sterilisierung wurde zurückgezogen“. Nach dem damaligen gerichtsärztlichen Gutachten war er hilfsbedürftig, da er an einer Geisteskrankheit, der „Schiziphrenie“ leide. Eine eingehende fachärztliche Expertise vom 23. Mai 1936 kam jedoch zu einem anderen Ergebnis und stellte zusammenfassend – freilich ohne die polizeilichen Methoden beim Namen zu nennen – fest, „dass es sich bei den dargebotenen auffälligen seelischen Erscheinungen des E. nicht um den Ausdruck einer Geisteskrankheit, der Schizophrenie, handelt, sondern um das Bild einer haftpsychotischen Störung als Reaktion auf die Verhaftung“.

Von seiner damaligen Straftat distanzierte sich der politisch Gewendete: „Ich habe mich gegen die Verfassung von Weimar vergangen, well, und das bereue ich aufrichtig; mehr kann niemand von mir verlangen. Im übrigen liegt meine Heimat, le pays de ma naissance, de mon enfance, de mes interêts nationaux links des Rheins, ohne affront gesagt. Aber andererseits will ich jedes Zusammentreffen mit Bekannten vermeiden. Menschen, denen ich recht war, solange sie 2 1/2 Jahr lang meine militärischen Kenntnisse für ihre Organisationen ausnutzen konnten und die, als ich festgenommen wurde, weil ich vor Jahren mal anderer Ansicht war, mich im Stich gelassen und sogar ins Zuchthaus bringen ließen, gehören an jenen Ort auf dessen Eingangstor Dante Alighieri die Worte gelesen hat ‚lasciate ogni speranza‘ [lasst alle Hoffnung fahren]“.

Im Dezember 1937 meldete der Ludwigsburger Zuchthausvorstand an die Stapoleitstelle Stuttgart, Eberhardt spiele „mit dem Gedanken,die französische Staatsangehörigkeit zu erwerben und jenseits der Grenze sich an eine Partei demokratischer Richtung anzuschließen [...] Geht er ins Ausland, was er bestimmt erstreben wird, dann würde er schließlich bei den Emigrantenkreisen zu finden sein und wäre, da er journalistisch nicht unbefähigt ist, dort zunächst willkommen [...] Die Greuelpropaganda dürfte eine Bereicherung erfahren; tief in ihm sitzt eine Verbitterung über angebliche Geständniserpressung und über angeblich schlechte Behandlung durch die politische Polizei in Dresden [...].
Die Entlassung in die Freiheit wäre, wie ich glaube, nicht zu verantworten. Schutzhaft halte ich für notwendig“.

Folgerichtig ordnete die Gestapo-Schutzhaftdienststelle II D an, Eberhardt am Tage seiner Strafverbüßung, also am 24. Februar 1938 „zur Prüfung der Schutzhaftfrage“ in das Polizeigefängnis II in der Stuttgarter Büchsenstraße zu „verschuben“.

Über die Zwischenstation Polizeigefängnis Welzheim traf Eberhardt am 25. März 1938 im Konzentrationslager Dachau ein. Er war nun Schutzhäftling Nummer 13693. Am 19. Januar 1939 kam er wegen einer unbekannten Verfehlung in „Kommandanturarrest“. Bei der Räumung des Lagers Dachau für Ausbildungszwecke der SS wurde er am 27. September 1939 mit einem rund 1600 Häftlinge umfassenden Massentransport in das KZ Mauthausen verlegt. Von dort wurde er Anfang Februar 1940 nach Dresden überstellt. Spätere Angaben seiner Ehefrau legen nahe, dass er dort, damals bereits fast verhungert, mit Erfrierungen und krank in einer unbekannten Sache als Zeuge vernommen wurde. Dabei erlitt er einen vollständigen Zusammenbruch, so dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Am 8. Juni 1940 wurde er als unheilbar krank aus der Konzentrationslagerhaft Mauthausen entlassen. Ob er die Heimreise direkt von Dresden oder von Mauthausen aus antrat, ist nicht ersichtlich.

Er starb am 25. Oktober 1940 im Alter von 32 Jahren in Heidenheim an den Haftfolgen. In einem Schreiben des Stadtkrankenhauses Dresden vom 3. November 1949 heißt es hierzu: „Herr E. wurde am 22.2.1940 in der hiesigen Klinik stationär aufgenommen und am 17.5.1940 als gebessert und arbeitsunfähig in weitere ärztliche Behandlung entlassen. Die Diagnose lautet: Herzklappenfehler (Aorteninsufficienz) mit Angina pectoris, Herzmuskelschwäche, Gelenkrheumatismus. Herr Eberhardt wurde in schlechtem Allgemeinzustand hier aufgenommen. Im Laufe der Behandlung besserte sich sein Zustand und nahm Herr E. 9 kg an Gewicht zu. Wohin Herr Eberhardt nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gebracht wurde, geht aus dem Krankenblatt nicht hervor. Aus der Korrespondenz mit der Geheimen Staatspolizei ist es aber zu ersehen, dass er wahrscheinlich in das Gefängnis der Gestapo gekommen ist. Ob und inwiefern die Misshandlungen im KZ-Lager Ursache des Todes gewesen sind, kann man nach dem vorhandenen Krankenblatt nicht sagen. Bei den bei Herrn Eberhardt bestehenden ernsten Erkrankungen ist es aber ohne weiteres anzunehmen, dass die Haft zumindest begünstigend für die Verschlechterung und für einen tödlichen Ausgang gewirkt hat. Wir wissen natürlich nicht, an welcher Krankheit Herr E. später verstorben ist.“

Im Januar 1949 wurde das Urteil des Volksgerichtshofs von 1937 gegen Eberhardt wegen Vorbereitung zum Hochverrat aufgehoben. Karl Eberhardts Vater, seine Witwe und sein Sohn stellten als Hinterbliebene Wiedergutmachungsanträge. Die Anträge wurden prinzipiell abschlägig beschieden. Die Argumente lieferte das Landesamt für die Wiedergutmachung Stuttgart in einem Schreiben vom 29. Oktober 1952 an das Justizministerium: „Die Straftat, wegen welcher die Verurteilung erfolgte, richtete sich gegen den Weimarer Rechtsstaat“. Maßgeblich sei nicht der Zeitpunkt der Bestrafung, vielmehr komme es auf den „Zeitpunkt der Tat“ an. Da Eberhardt zudem Mitglied der NSDAP und der SA gewesen sei, habe er „der NS-Gewaltherrschaft in erheblichem Maße Vorschub geleistet und dadurch jedes Recht auf Wiedergutmachung“ verwirkt. Dass der oberste Gerichtshof des beschworenen „Weimarer Rechtsstaats“ Eberhardt freigesprochen hatte, fand dabei ebenso wenig Beachtung wie die Tatsache, dass KZ-Haft ohnehin keine „Strafe“, sondern einen NS-spezifischen außerjustiziellen Willkürakt darstellte. Immerhin erhielt die Ehefrau – sie starb 1956 – schließlich noch eine kleine Witwenrente und der Sohn eine einmalige Zahlung von 5000.- DM unter Verzicht auf weitere Ansprüche.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Karl Eberhardts Wohnadresse vor seiner Verhaftung: Schwanenstraße 22 in 89522 Heidenheim an der Brenz.


Quellen

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.6.7 Schreibstubenkarten Dachau / Karl Eberhardt
Korrespondenzakte T/D - 277 693

Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 6822
EL 350 I Bü 217
E 356 d V Bü 1770

Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step (https://stevemorse.org/dachau/dachau.html)


© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Januar 2022
www.kz-mauthausen-bw.de