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Karl Vogel (1898 - 1941)

Göppinger Postinspektor und Wehrdienstverweigerer

03.02.1939 Verhaftung
03.04.1939 KZ Dachau
09.05.1939 KZ Mauthausen
19.08.1941 ermordet in der Tötungsanstalt Hartheim

Karl Heinrich Vogel kam am 17.Januar 1898 in Göppingen als ältestes von acht Geschwistern zur Welt. Die Eltern waren der evangelische Göppinger Landwirt Karl David Vogel und die Hausfrau Marie Vogel, geborene Rohm, geboren am 5. April 1875 in Fulda. Marie Vogel war seit 1898 in Göppingen, Bartenbacherstraße 12, der Geburts- und späteren Wohnadresse des Karl Vogel, gemeldet.

Nach dem Besuch der Elementarschule in Göppingen und des Realgymnasiums, das er mit dem Einjährigenzeugnis (Mittlere Reife) abschloss, bewarb er sich um eine Stelle bei der Post. Am 16. November 1915 wurde er probehalber beim Postamt 1 in seiner Heimatstadt eingestellt.

Anfang 1917 wurde er zum Heeresdienst herangezogen und dem Ersatzbataillon Reserveregiment 121 4. Rekr. Dep. 15. Korp. in Schwäbisch Gmünd zugeteilt. Als Soldat kam er im Kriege zeitweilig in französische Internierung in Thessaloniki. Am 2. September 1919 wurde er nach Göppingen entlassen. Ihm wurde gute Führung attestiert und dass er keine Militärstrafen erhalten hatte. Nichts an seinem Verhalten als Soldat im Ersten Weltkrieg deutete auf eine innere Einstellung hin, die ihn später zum Wehrdienstverweigerer werden ließ.

Seinem alten feierlichen Diensteid bei der Post, „seiner Majestät unserem allergnädigsten König und Herrn treu und gehorsam zu sein“, folgte nach dem Ende der Monarchie im November 1919 die Vereidigung auf die Weimarer Republik: „Ich schwöre Treue der Reichsverfassung und der Landesverfassung“.

Aus irgendwelchen, durch Quellenbelege nicht ersichtlichen oder schlüssig nachvollziehbaren Gründen, scheinen der bis dahin untadelige und staatstreue Postbeamte wie auch seine gesamte Familie ins Visier von einflussreichen Göppinger Nationalsozialisten geraten zu sein. Neben politisch-ideologischen Differenzen können auch persönliche oder – wie Karl Vogels Schwester Emelie später zu Protokoll gab – kommunalpolitische Konflikte um ein Grundstück im Hintergrund eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls wurde im August 1933 gegen die Familie die Postüberwachung und ein Ermittlungsverfahren „wegen Verdachts der Greuelpropaganda“ eingeleitet. Eine Begründung für den Verdacht und die Maßnahmen gegen die Familie wurde – auch bei internen behördlichen Schreiben – nicht angeführt. Der Argwohn scheint sich lediglich auf die Tatsache gestützt zu haben, dass Karls Mutter, Marie Vogel, einen Bruder in der Schweiz hatte, der als Schriftsetzer beim Schaffhausener Tagblatt beschäftigt war.

Da die Postüberwachung bei Karl Vogel – und bei seiner ebenfalls bei der Post beschäftigten Schwester – wegen deren beruflicher Stellung praktisch nicht unbemerkt durchgeführt werden konnte, musste man allerdings notgedrungen auf die Überwachung dieser beiden Geschwister verzichten und sich darauf beschränken, die an die übrigen Familienmitglieder adressierte aus dem Ausland kommende Post zu kontrollieren.


Praktisch zeitgleich mit dem Beginn der Postüberwachung, am 16. August 1933, kam es bei der Familie Vogel in Göppingen zu einer Hausdurchsuchung. Dabei wurden 18 Exemplare des Schaffhausener Tagblatts und zwei Briefumschläge mit Zeitungsausschnitten beschlagnahmt. Die sichergestellten Presseschnipsel waren, wie es hieß, „anscheinend aber harmlosen Inhalts“. Der Verdacht wegen angeblicher „Greuelpropaganda“ ließ sich nicht durch den geringsten Hinweis erhärten, weshalb denn auch Ermittlungsverfahren und Postüberwachung bald wieder eingestellt wurden.

Damit hätte alles sein Bewenden haben können. Doch blieben die Vogels, der Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zum Trotz, örtlichen Nazis weiterhin ein Dorn im Auge. Diese suchten und fanden bald eine neue Handhabe, um gegen die Familie und namentlich gegen den Beamten Karl Vogel vorgehen zu können.

Am 12. November 1933 ließ die NS-Regierung eine mit einer Volksabstimmung kombinierte Reichstagswahl veranstalten. Für den Reichstag zugelassen waren nur Kandidaten, die das Reichsinnenministerium in Zusammenarbeit mit der NSDAP auf eine Einheitsliste gesetzt hatte. Die zusätzliche Volksabstimmung betraf den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Das Regime warb mit Prominenten um Zustimmung, auch die Spitzen der Kirchen riefen zur Abstimmung auf.

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Vogel, Karl1
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Vogel, Karl2
Faksimile 1: NS-Beamtenabteilung des Kreises Göppingen an die Oberpostdirektion Stuttgart vom 13.11.1933, StAL K 510 Bü 4142

Karl Vogel blieb – wie übrigens auch seine Schwester und andere Familienmitglieder –.der Wahl und Volksabstimmung fern. Dies blieb nicht unvermerkt, und ein sich besonders stramm gerierender Nazi blies die Wahlenthaltung tags darauf im Namen der NS- Beamtenabteilung des Kreises Göppingen in einem Schreiben an die Oberpostdirektion zu einem politischen Skandal auf (vgl. Faksimile 1):

„Göppingen, den 13. Nov. 1933. Betreff: Weigerung des Oberpostsekretärs Karl Vogel in Göppingen und der Postassistentin Anna Vogel, daselbst, sich an der Volksabstimmung zu beteiligen. Mit anderen Parteigenossen tat ich gestern Nachmittag im Wahllokal der Gewerbeschule in Göppingen Wahlhelferdienste. Dabei stellten wir fest, dass die Familie Vogel noch nicht abgestimmt hatte“. Deshalb habe man die Betreffenden persönlich aufgesucht. „Die ganze Familie Vogel weigerte sich jedoch, zur Abstimmung zu gehen. Der Oberpostsekretär Karl Vogel erklärte, er habe nicht die Absicht abzustimmen. Seine Schwester, die Postassistentin Anna Vogel, sagte, sie gehe nicht zur Wahl, sie lasse sich nicht knebeln. Beide waren nicht zu bewegen, mitzugehen und stimmten dann auch tatsächlich auch nicht ab“. Beamte, die glaubten, sich derartiges leisten zu können, seien „für den Staat einfach nicht tragbar“. Als erschwerend angefügt wurde noch die – sich später als unwahr erweisende – Behauptung, die Familie Vogel habe „bei den Sammlungen für das Eintopfgericht noch nie etwas gegeben“ und bei der letzten Sammlung sogar laut und vernehmlich geschimpft.

Auf diese Denunziation hin zur Rede gestellt, gab Karl Vogel zu Protokoll: „Ich habe bis jetzt noch nie von meinem Wahlrecht Gebrauch gemacht und habe auch noch nie einer politischen Partei angehört, oder mich irgendwie politisch betätigt. Nach reiflicher Überlegung konnte ich auch diesmal nicht den Entschluss fassen, mein Wahlrecht auszuüben; eine gesetzliche Wahlpflicht  gibt es, soviel mir bekannt ist, auch für Beamte nicht“ (Unterstreichung im Original).

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Vogel, Karl3
Faksimile 2: NSDAP-Ortsgruppe Göppingen an die Oberpostdirektion Stuttgart vom 18.11.1933 (das in Karl Vogels Personalakte befindliche Schreiben wurde durch Überklecksen der NS-Symbole „entnazifiziert“), StAL K 510 Bü 4142

Am 18. November 1933 (s. Faksimile 2) hetzte die NSDAP-Ortsgruppe Göppingen gegen die Vogels in einem Schreiben an die Oberpostdirektion Stuttgart mit dem Bemerken, „dass diese Beamtenfamilie sich außerhalb der deutschen Volksgemeinschaft gestellt“ habe und somit „keine Berechtigung“ besitze, „eine öffentliche Stellung in dieser Volksgemeinschaft zu bekleiden.“ Bei der Familie handele es sich um „Volksverräter“, und man setzte die Oberpostdirektion unter Druck, gegen den missliebigen Karl Vogel „Maßnahmen zu ergreifen“.

Was folgte, war eine Einvernahme Vogels durch einen Beamten der Oberpostdirektion Stuttgart. Letzterem gelang es allerdings nicht, die Gründe für das Fernbleiben Karl Vogels und seiner Schwester von der „Volksabstimmung“ abschließend aufzuklären, wie er selbst bedauernd bemerkte. In dem Bericht heißt es, Vogel sei „ein wortkarger, verschlossener, eigensinniger und reichlich komischer Mensch“. Erwähnt wird aber auch, dass Vogels Vorgesetzter diesen als „begabten, intelligenten und gut belesenen und orientierten Mensch“ charakterisierte und ihn sogar als seinen „besten Briefpostbeamten“ bezeichnete, über den auch außerdienstlich „nichts Nachteiliges“ bekannt geworden sei. Als Besonderheit merkte der Vorgesetzte lediglich an, dass Vogel „den Anschein erwecke, als ob er immer über etwas nachdenke, als ob er in anderen Sphären schwebe“.

Bei der Vernehmung machte Vogel auch religiöse Motive für seine Wahlenthaltung geltend. Auf Nachfrage war er aber nicht willens oder in der Lage, diese Gründe nähers darzulegen. Einer drohenden Dienstsuspendierung sah er gefasst entgegen: er habe sich die Sache reiflich überlegt und stehe zu den Konsequenzen.

Das nationalsozialistische „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (BBG) vom 7. April 1933 ermöglichte es zwar, jüdische und politisch missliebige Beamte aus dem Staatsdienst zu entfernen. Eine politisch begründete Entlassung nach § 4 BBG („Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden“) kam nach Lage der Dinge allerdings nicht in Frage. Denn Vogel hatte sich zu keinem Zeitpunkt auch nur im Geringsten politisch betätigt, was ja zuletzt auch der Ausgang des postbeamtlichen Ermittlungsverfahrens bestätigt hatte. Also sollte er kalt und geräuschlos abserviert werden, wofür sich praktischerweise § 6 des BBG anbot: „zur Vereinfachung der Verwaltung können Beamte in den Ruhestand versetzt werden, auch wenn sie noch nicht dienstunfähig sind“.

Somit teilte die Oberpostdirektion Stuttgart Vogel am 20. Januar 1934 mit, dass die Zurruhesetzung nach § 6 BBG anstehe, „weil Sie sich durch Ihr Verhalten am 12. Nov. 1933 aus der Volksgemeinschaft bewusst ausgeschlossen und sich als unwürdig und als Beamter ungeeignet gezeigt haben“.

Die Oberpostdirektion Stuttgart machte sich mit diesem Vorgehen ganz offensichtlich – bis in die Formulierung hinein - zum Erfüllungsgehilfen der Hetzkampagne der Göppinger Nazis gegen Karl Vogel und seine Familie. Sogar der Reichspostminister scheint erkannt zu haben, dass es in diesem Fall nicht mit rechten Dingen zuging. Er widersprach dem Bescheid der Stuttgarter Oberpostdirektion und teilte dieser mit, dass von einer Zurruhesetzung des Beamten Vogel abzusehen sei. Dieser solle lediglich politisch überwacht und an einen anderen Ort versetzt werden. Trotz dieser Intervention von höchster Stelle zu seinen Gunsten sah Vogel sich so sehr in die Enge getrieben, dass er von sich aus am 28. März 1934 sein Entlassungsgesuch einreichte, dem denn auch umgehend stattgegeben wurde.

Die weitere Verfolgung Vogels durch die Nationalsozialisten lässt sich bisher nur sehr lückenhaft  rekonstruieren. Die entscheidende Wende trat in der Folge der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland im März 1935 ein. Eines der letzten Dokumente in Vogels Post-Personalakte ist ein vom 16. September 1937 datiertes Schreiben der Polizeidienststelle Göppingen an das Postamt Göppingen (s. Faksimile 3): Vogel habe sich nicht zur Wehrstammrolle (diese diente der Erfassung der Wehrpflichtigen durch die Ortspolizeibehörde) angemeldet, „sodass er zwangsweise vorgeführt werden musste“. Er habe vorgebracht, dass er nicht im Besitze seines Militärpasses sei und dieser sich möglicherweise noch bei seiner früheren Reichspost-Dienststelle in Göppingen befinde. Daher bitte man um Nachforschung über den Verbleib der Militärpapiere.

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Vogel, Karl Faks.3
Faksimile 3: Anfrage der Polizeidienststelle Göppingen an das Postamt Göppingen wegen
des Verbleibs von Karl Vogels Militärpass vom 16.9.1937, StAL K 510 Bü 4142

Beim Postamt  fanden sich die fraglichen Dokumente nicht. In Anbetracht der Umstände spricht einiges für die Erinnerung des ehemaligen Göppinger Kriminalbeamten Sigmund Frank, der nach dem Krieg angab, Vogel habe wiederholt einen ihm zugestellten Militärpass zurückgeschickt mit der Begründung, er könne es mit seiner religiösen Einstellung nicht vereinbaren, zur Wehrmacht zu gehen.

Der ehemalige Leiter des Wehrmeldeamtes Göppingen, der allerdings erst seit 1940, also nach der Zeit da die Stelle mit dem Fall Vogel befasst war, das Amt innehatte, meinte, dass die Ablehnung des Wehrdienstes ein Grund für das Eingreifen der Gestapo gewesen sei: „Wenn es stimme, wie sein Vorgänger beim Wehrmeldeamt in solchen Fällen gehandelt habe, liege es auf der Hand, dass Vogel von der Gestapo abgeholt worden sei“. Auf einer aussortierten Karte beim Einwohnermeldeamt Göppingen fand man denn auch tatsächlich den Bleistiftvermerk: „Am 3.2.39 Gestapo Stuttgart“.

Gemäß der üblichen Verfahrensweise der Stapoleitstelle Stuttgart dürfte Vogel nach seiner Vernehmung in der Stuttgarter Gestapozentrale „Hotel Silber“ bis zum Eintreffen des Schutzhaftbefehls aus Berlin im Polizeigefängnis Welzheim festgehalten worden sein. Am 3. April 1939 kam er dann in das Konzentrationslager Dachau, wo er die Häftlingsnummer 32865 mit der Kategorie „Sch. DR“ (Schutzhaft Deutsches Reich) zugeteilt bekam.

Am 9. Mai 1939 wurde er im Rahmen eines größeren Sammeltransports mit mehreren Hundert Häftlingen von Dachau in das KZ Mauthausen überstellt.

Laut Schreiben der KZ-Kommandantur Mauthausen verstarb Karl Vogel „am 19.9.1941 an den Folgen einer Rippfellentzündung im hiesigen Krankenhaus“. Tatsächlich wurde Karl Vogel bereits am 19. August 1941 ermordet, und zwar in der Gaskammer der Tötungsanstalt Schloss Hartheim in Alkoven bei Linz. In dieser etwa 30 Kilometer von Mauthausen entfernt gelegenen Einrichtung wurden im Rahmen der sogenannten Aktion 14f13 KZ-Häftlinge gezielt getötet (eines der frühen Opfer dieser Aktion war Hermann Albrecht aus Tiengen, siehe Biographie). Die Transporte aus dem KZ Mauthausen nach Hartheim hatten spätestens am 11. August 1941 eingesetzt. Die Bezeichnung 14f13 war das Aktenzeichen für die „Sonderbehandlung der kranken und gebrechlichen Häftlinge“. Die Selektionen für diese „Sonderbehandlung“ erfolgten nach Augenschein durch den Lagerkommandanten und SS-Ärzte. Karl Vogel war also wahrscheinlich durch den KZ-Aufenthalt und die Zwangsarbeit so geschwächt, das er von seinem äußeren Erscheinungsbild her nicht mehr als arbeitsfähig galt. Zur Tarnung der Mordaktion wurde nach außen hin als Todesort Mauthausen und als Todesursache eine beliebige Krankheit angegeben. Auch wurden die Todestage der Ermordeten zur Vermeidung von Auffälligkeiten unabhängig von tatsächlichen Tag der Vergasung über mehrere Termine verteilt. Entsprechend wurde auch das offizielle Todesdatum Vogels um einen Monat verschoben. Karl Vogel wurde 43 Jahre alt.

Die vom 4. Oktober 1941 datierte Todesmeldung der KZ-Kommandantur Mauthausen (s. Faksimile 4) erhielt Marie Vogel von dem bereits erwähnten Göppinger Kriminalbeamten Sigmund Frank ausgehändigt, der ihr auch die Bekleidung und die wenige Hinterlassenschaft ihres Sohnes übergab.

Marie Vogel stellte am 5. April 1949 einen Antrag auf Entschädigung für die Freiheitsberaubung und Ermordung ihres Sohnes. Doch zog sich das Verfahren hin. Erst im Juni 1961 – Marie Vogel war kurz zuvor am 11. April 1961 verstorben – klärte die Kriminalaußenstelle Göppingen auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Stuttgart die Verfolgungsumstände wenigstens ansatzweise auf. Im damaligen kriminalpolizeilichen Abschlussbericht hieß es, dass die antinazistische Einstellung Vogels nunmehr als erwiesen angesehen werden könne. Vogel habe der evangelischen Konfession angehört; Anhaltspunkte zu anderen Glaubensgemeinschaften hätten sich nicht ergeben. Das Resümee lautete: „Nach den hier gemachten Feststellungen muss angenommen werden, dass Vogel allein wegen seiner rein persönlichen Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus ins KZ gekommen ist. Sein Verhalten, der Volksabstimmung am 12.11.1933 fernzubleiben und den Wehrdienst abzulehnen, waren seinerzeit Grund genug, um ihn ins KZ zu bringen. Vogel war offensichtlich ein Einzelgänger in seinen Auffassungen, denn es konnten sich weder politisch Verfolgte noch ehemalige Nazis an diesen Fall entsinnen. Es liegen also keine Anzeichen dafür vor, dass er aus politischen Gründen dem Nationalsozialismus offenen Widerstand entgegensetzte, sondern sein Verhalten war von religiösen oder sonstigen Gewissensgründen bestimmt“.

Zur Frage nach Karl Vogels Widerstandsmotiven bleibt anzumerken, dass in den von uns eingesehenen Unterlagen Karl Vogel sich zwar auf nicht näher spezifizierte religiöse Beweggründe bezog, aber er oder seine Familienangehörigen an keiner Stelle explizit theologisch argumentierten. Eine Zugehörigkeit zu einer besonderen religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung ist nicht feststellbar. Auch bloße Kirchenfrömmigkeit kommt als Beweggrund kaum in Frage, schließlich hatten die Kirchenoberen seinerzeit ja zur Beteiligung an der Volksabstimmung aufgerufen und sich nicht gegen den aktiven Kriegsdienst gestellt. Die Mutter blieb bis zu ihrem Tod der Ansicht, Anlass für die Verfolgung ihres Sohnes sei die leidige kommunalpolitische Auseinandersetzung gewesen, bei der Karl Vogel sich gegen eine Beteiligung an den Straßenbaukosten beim Grundstück der Familie gewehrt habe. Das Bauamt Göppingen wies freilich – wie  kaum anders zu erwarten – nach dem Krieg alle Schuld von sich. Der jeweilige Anteil der unterschiedlichen lokalen Akteure an der Verfolgung Vogels wird sich vermutlich nicht mehr genau rekonstruieren lassen. Auffällig ist die antinazistische und obrigkeitsfeindliche Haltung und Verbitterung seitens Karl Vogels Schwester Emelie. In den Polizisten, die nach dem Krieg in dem Fall ermittelten und sie zur Sache befragten, sah sie Leute, die sich nicht wesentlich von den damaligen Mördern ihres Bruders unterschieden, weshalb sie sich unkooperativ zeigte und sich auch weigerte, das polizeiliche Gesprächsprotokoll zu unterzeichnen.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Karl Vogels Wohnadresse in 73033 Göppingen, Bartenbacherstraße 12.


Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.6.7 Schreibstubenkarten Dachau / Dok. 10774933

1.1.6.1 / 9913067 Transportliste vom KZ Dachau nach Mauthausen am 8.5.1939

 

 

Staatsarchiv Ludwigsburg
K 510 I Bü 4142 (Personalakte Oberpostdirektion Stuttgart)
StAL EL 350 I Bü 7006, 7007
StAL E 179 II Bü 7352 (Lageplan Bartenbacherstraße in Göppingen)

Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step (https://stevemorse.org/dachau/dachau.html)

Brigitte Kepplinger, Gerhart Marckhgott, Hartmut Reese (Hg.): Tötungsanstalt Hartheim. 2. erweiterte Auflage Linz 2008.

Florian Schwanninger: Die Rekonstruktion der Namen der Toten der „Aktion 14 f 13“ in der Tötungsanstalt Hartheim – Beispiel einer institutionellen Kooperation, in: Andreas Kranebitter (Hg): Gedenkbuch für die Toten des KZ-Mauthausen und seiner Außenlager. Bd.1. Wien 2016, S. 40-48.


© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Mai 2024
www.kz-mauthausen-bw.de