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Karl Wagner (1909 - 1983)

„Gefährliche Botendienste“

25.03.1933 – 27.06.1933 KZ Heuberg

16.10.1933 erneute Verhaftung
08.11.1933 Flucht
24.04.1935 erneute Verhaftung, Gefängnis Ulm, Strafgefangenenlager Börgermoor
19.12.1936 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Mauthausen
18.02.1940 KZ Dachau
19.07.1944 KZ Buchenwald
11.04.1945 Befreiung im KZ Buchenwald

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Wagner Kreti
Karl Wagner als Siebzigjähriger (Foto: Hilde Wagner, Der Kapo der Kretiner)

Karl Wagner wurde am 13. Mai 1909 als Sohn einer Arbeiterfamilie – die Eltern waren Friedericke, geborene Körner, und Friedrich Wagner – in Morsbach am Kocher (heute ein Stadtteil von Künzelsau) geboren. Nach dem Umzug in den Stuttgarter Raum besuchte er in den Jahren 1916 bis 1923 die Volksschule in Feuerbach, danach ließ er sich zum Kunststeinarbeiter ausbilden. In diesem Beruf arbeitete er bei der Feuerbacher Firma Rau und, nach vorübergehender Arbeitslosigkeit zuletzt in den Krisenjahren 1931 und 1932, bei der Kunststeinfabrik Franz Berger. Wagner wohnte in Stuttgart-Feuerbach in der Adolfstraße 26. Er war verheiratet mit Hildegard „Hilde“ geb. Hirschmann (1924-2002). Die Ehe blieb kinderlos.

Karl Wagner war Mitglied der Baugewerkschaft und schloss sich der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) an. Als KPD-Mitglied wurde er nach der NS-Machtübernahme am 25. März 1933 verhaftet und in das KZ Heuberg auf der Schwäbischen Alb verbracht. Nach drei Monaten unterschrieb er ein Revers, in dem er bestätigte, dass er sich künftig nicht mehr gegen Volk und Staat vergehen werde. Darauf erhielt er seinen Entlassungsschein und eine Fahrkarte nach seinem Wohnort Feuerbach. Er betätigte sich weiter für die KPD. Aufgrund der Denunziation eines Parteigenossen wurde er im Oktober 1933 wegen Verbreitung verbotener Druckschriften erneut verhaftet und von der Württembergischen Polizei in Stuttgart vernommen. Am 8. November gelang es ihm, aus dem Polizeigefängnis Stadtdirektion Stuttgart zu entfliehen. Illegal lebte er zunächst in verschiedenen Wohnungen in Stuttgart und begab sich dann in die Schweiz, um dort einen Parteilehrgang zu besuchen. Zum Jahresende kehrte er von Zürich nach Stuttgart zurück. Doch bald ging er zurück in die Schweiz und lebte von Mai 1934 bis Februar 1935 in Basel. Dort war er weiter für seine Partei tätig. Danach wieder in Stuttgart, versuchte er hier die der KPD nahestehende verbotene „Rote Hilfe“ wieder aufzubauen. Am 24. April 1935 wurde er nach späterer Darstellung der Witwe Wagner auf dem Weg in sein damaliges Quartier in der Schwarenbergstraße in Stuttgart-Ost von einem gewissen „Kriminalkommissar Mäule von der Gestapo“ (diese firmierte zu jener Zeit allerdings noch als Württembergische Politische Polizei; bei dem Polizisten dürfte es sich um Kriminalsekretär Karl Maile1, geb. am 25.5.1903, gehandelt haben) erkannt nach einem kurzen Fluchtversuch nun bereits zum drittenmal verhaftet und ins Polizeirevier Ostheim gebracht. Im „Hotel Silber“, dem Stuttgarter Sitz der Politischen Polizei, soll er misshandelt und von dem für politische Delikte zuständigen Kommissar Willi Rauschenberger2 vernommen worden sein. Wagner wurde wegen Weitergabe illegaler KPD-Blätter und der Strafvereitelung durch Flucht in die Schweiz angeklagt. Für seine illegalen Botengänge in die Schweiz im Jahr 1933 wurde er dann am 2. Februar 1936 zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Unter der Überschrift „Gefährliche Botendienste“ berichtete die Württemberger Zeitung am 10. Februar 1936 über den Fall . In seinem Wiedergutmachungsantrag gab Wagner später abweichend an, er sei vom „Sondergericht Stuttgart“ wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu dieser Haftstrafe verurteilt worden (die entsprechende Angabe „V. z. Hochverr.“ findet sich auch auf einem Dokument des KZ Buchenwald). Die Strafe verbüßte er – abzüglich der Untersuchungshaft – zunächst im Gefängnis in Ulm. Anfang März 1936 kam er von Ulm in das Justiz-Strafgefangenenlager Börgermoor (Emslandlager). Dort traf er u.a. mit dem politischen Häftling Karl Okenfuß (siehe Biographie) zusammen, der ihn in weiteren Stationen der Haft begleitete. Der Justizhaft folgte die polizeiliche Schutzhaft. Via Hannover und Stuttgart kam Wagner (zusammen mit Okenfuß) nach dreiwöchigem Aufenthalt im Gestapogefängnis Welzheim kurz vor Weihnachten 1936 in das Konzentrationslager Dachau. Er erhielt die Häftlingsnummer 11210 und kam in den Strafblock der „Zweitmaligen“, wie mehrfach KZ-Inhaftierte bezeichnet wurden.

Anlässlich der vorübergehenden Nutzungsänderung des KZ Dachau nach Kriegsbeginn für Ausbildungszwecke der SS wurde Wagner zusammen mit weiteren 1600 Häftlingen am 27. September 1939 in das KZ Mauthausen verlegt. Nach fünfmonatigem Aufenthalt dort, geprägt von Steinbrucharbeiten und Nahrungsmangel, kam er am 18. Februar 1940 zusammen mit weiteren „Dachauern“ zurück in das KZ Dachau. Seine neue Häftlingsnummer lautete 244. Vom 16. bis zum 19. Mai 1941 saß er in Kommandanturarrest. Wagner wurde Funktionshäftling. 1942 war er Baukapo des Häftlingskommandos, welches das neue Krematoriumsgebäude in Dachau, später Baracke X genannt, erbaute.

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Wagner Choporenko
Nikolai Choprenko, DP-Ausweis vom 21.2.1949, ITS Digital Archive, Arolsen Archives Dok. 66789003

Vom Herbst 1942 bis April 1943 wurde Wagner in Dachau-Baukommandos für die SS-Hochgebirgsschule in Neustift im Stubaital eingesetzt. Schließlich brachte er es zur Stellung des Lagerkapos. Im April 1943 erreichte er als Lagerältester die höchste Häftlingsfunktion in dem der BMW-Flugmotorenproduktion dienenden Dachau-Außenlager München-Allach. Eine Position, die er allerdings bereits im Juli desselben Jahres wieder verlor, nachdem er sich geweigert hatte, an einem auf dem „Strafbock“ aufgeschnallten sowjetischen Häftling die Prügelstrafe zu vollstrecken. Wie ein späteres zufälliges Zusammentreffen des Ziehsohns Karl Wagners, Mitglied der Lagergemeinschaft Dachau, ausgerechnet mit diesem ehemaligen sowjetischen Häftling in der Gedenkstätte Dachau im Jahr 2005 ergab, handelte es sich bei dem seinerzeit zu Bestrafenden offenbar um den Ostarbeiter Nikolai Choprenko. Den am 7.9.1924 in Petrowka, Kreis Stalino (heute: Donezk), geborenen Schüler hatte die Münchner Gestapo am 26. Februar 1943 in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Im Lager Allach sollte er wegen des Verdachts der Sabotage bestraft werden. Choprenko wurde nach der Befreiung des KZ Dachau als „Displaced Person“ (DP) von der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen (UNRRA) betreut und lebte dann unter dem Namen Nick Hope in den USA.

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Wagner PK1
Häftlings-Personalkarte Karl Wagner mit erkennungsdienstlichem Foto (Arolsen Archives, Dok. 7359100)

Vom 14. Februar 1944 an wurde der in Allach entmachtete Karl Wagner auf seiner Karteikarte für den Arbeitseinsatz als „Capo Totenhalle“ geführt. Anfang 1944 wurde er im Dachauer Krankenrevier einer Hämorrhoidenoperation unterzogen; am 24. August 1944 kam er wegen Verletzungen bei einem Luftangriff für vier Tage ins Krankenrevier; Anfang September erlitt er eine Rückenprellung mit anschließendem Blutspucken.

Am 18/19. Juli 1944 wurde er in das KZ Buchenwald verlegt (Häftlingsnummer 39286). Im KZ Buchenwald blieb er bis zur Befreiung im April 1945. Am 30. April 1945 – so ist es auf einer KZ-Karteikarte vermerkt und von Wagner per Unterschrift bestätigt – erhielt er sein „Eigentum restlos zurück“. Es bestand aus einem Mantel, einer Hose, einer Weste, einem Oberhemd und einer Unterhose. Am 7. Mai 1945 füllte Wagner einen ihm von der Militärregierung vorgelegten „Fragenbogen für Insassen der Konzentrationslager“ aus. Auf die Frage zu Einzelheiten der Haft und etwaiger grausamer Behandlung gab er an: „two times 6 weeks arrest, two times 25 strikes with a stick on the seat for antifascistic attitude; 72 hours of standing-arrest because I war suspicioned to have erected antifascistic organisations“.

Am 13. Mai 1945, seinem 36. Geburtstag, kehrte Karl Wagner nach Stuttgart zurück. Hier arbeitete er von Anfang 1946 bis Ende September 1946 als Büroangestellter bei der KPD und von Ende Januar bis Ende Juni 1947 im Landesausschuss der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Er wurde als politisch Verfolgter anerkannt und erhielt ab 1947 mehrere Soforthilfen und Steuerermäßigung. Entschädigungszahlungen gab es für insgesamt 124 Monate Haft. Die Auseinandersetzungen um den ursächlichen Zusammenhang seiner gesundheitlichen Schäden mit der KZ-Haft sollten sich jedoch bis über seinen Tod hinaus hinziehen.

Karl Wagner lebte nach dem Krieg (1961) in Stuttgart-Feuerbach in der Idarwaldstraße 9, später wohnte er in Ispringen bei Pforzheim. 1966 zog er nach Karlsruhe um. Dort war er vier Jahre Kreisvorsitzender der VVN. 1968 trat er der neukonstituierten Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bei. Er starb am 8. Oktober 1983 in Karlsruhe.

1990 beendete Karl Wagners Witwe Hilde ein Manuskript über die KZ-Zeit ihres Mannes. Das zunächst im Privatdruck erschienene Buch brachte 2009 der Verlag Pahl-Rugenstein Nachf. unter dem Titel „Karl Wagner, der Kapo der Kretiner“ heraus. Bei dem Text handelt es sich um eine mit erzählerischen Ausschmückungen versehene heroisierende Darstellung der Aktivitäten Karl Wagners vom Ende der Weimarer Republik bis zur Befreiung in Buchenwald. Der Ausdruck ‚Kretiner’ im Buchtitel stand im KZ-Jargon für Häftlinge, die durch Hunger und Misshandlungen gesundheitlich und psychisch ruiniert waren.

Die Erinnerung an den als unbeirrbar parteitreu geltenden Kommunisten Karl Wagner wurde von der lokalen DKP und ihrem politischen Umfeld gepflegt. So fand unter anderem am 6. April 2006 in Ettlingen eine Karl-Wagner-Veranstaltung statt. Die DKP Karlsruhe veröffentlichte eine Gedenkrede, die 2015 „zum 32. Todestag für Karl“ auf dem Friedhof in Grötzingen gehalten wurde. Auch die Internetseite der KZ-Gedenkstätte Dachau würdigte ihn 2021 mit den Worten: „Er gehört zu den wichtigsten Persönlichkeiten des Widerstands im Lager“.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Karl Wagners letzte offizielle Wohnadresse vor seiner Verhaftung: 70469 Stuttgart-Feuerbach, Feuerbacher-Tal-Straße 53. Die Straße trug in der NS-Zeit den propagandistischen Namen „Ostmarkstraße“ (Österreich wurde nach der Annexion 1938 als „Ostmark“ bezeichnet) und wurde 1945 umbenannt.

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Zu Karl Maile vgl. Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hg.): Die geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart, 3. Aufl. 2018.

2 Willi Rauschenberger, geb. 6.9.1900, zuletzt Kriminalinspektor und SS-Sturmscharführer, wurde durch Spruchkammerurteil vom 4.12.1947 als "Hauptschuldiger" eingestuft und zu 5 Jahren Arbeitslager und Einzug des Vermögens verurteilt. Das Urteil wurde später abgemildert. Zu Willi Rauschenberger vgl. Bauz u.a., Geheime Staatspolizei.


Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
Schreibstubenkarte Dachau /10775921 Karl Wagner
1.1.5.3 Konzentrationslager Buchenwald / Individuelle Häftlingsunterlagen - KL Buchenwald, Karl Wagner
2.3.1.2 Kartei des Amtes für die Erfassung der Kriegsopfer, Berlin, 130574608
6.3.3.2 Korrespondenzakte TD 259061 Karl Wagner
1.1.6.2 Individuelle Häftlings Unterlagen - KL Dachau / Nikolai Choprenko
1.1.6.7 Schreibstubenkarte Dachau Nikolai Choprenko

Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 2430

Bundesarchiv, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO)
BY 1/ 762 Kaderakte Karl Wagner

VVN-Archiv Stuttgart
WGA 83, Briefe (Konvolut)

Hans-Günter Richardi: Der gerade Weg. Der Dachauer Häftling Karl Wagner, Dachauer Hefte 7, S. 52-86.

Walter Vielhauer: Allach 1943 – Ein SS-Befehl wird verweigert. Mitteilungsblatt der Lagergemeinschaft Dachau, Juli 1971 (zu Vielhauers Beitrag vgl. kritische Anmerkungen bei Zámečník, Dachau, S. 337).

Karl Wagner: Erinnerungen an Neustift, Beitrag zur Geschichte des antifaschistischen Widerstands 1942-45 in Neustift/Stubai. Broschüre, Karlsruhe 1979.

Karl Wagner: Ich schlage nicht – Beitrag zur Geschichte des antifaschistischen Widerstands 1943 im KZ-Außenlager Dachau-Allach. Broschüre, Karlsruhe 1980.

Karl Wagner: Kapo und Kamerad. In: Dachauer Hefte 7 (1991), S. 57.

Hilde Wagner: Karl Wagner, der Kapo der Kretiner [1991]. Bonn 2009.

Stanislav Zámečník: Das war Dachau. Luxemburg 2002, passim.

Wikipedia-Personenartikel: Karl Wagner (Widerstandskämpfer)

https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/geschichte-online/virtuelle-eroeffnung-zeitspuren (18.11.2021)
https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/geschichte-online/dachauer-ton-spuren/widerstand-von-karl-wagner
https://www.dkp-karlsruhe.de/artikel_archiv/2015/20151024.html
http://www.dkp-karlsruhe.de/karl.php

 


© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: November 2021
www.kz-mauthausen-bw.de