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Friedrich Alle (1902 - 1964)

Steinbrecher, Kommunist

April 1933 bis August 1933 KZ Heuberg
02.12.1936 Verhaftung, Polizeigefängnisse Stuttgart und Welzheim
16.01.1937 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Mauthausen
18.02.1940 KZ Dachau

Friedrich Georg Alle wurde als Sohn des Stanzermeisters Friedrich Alle und seiner Ehefrau Pauline am 11. Februar 1902 in Feuerbach (heute: Stuttgart-Feuerbach) geboren. Er wohnte in Weissach (heute im Landkreis Böblingen), und zwar in dem später in Flachterstraße umbenannten Teil der Weissacher Hauptstraße im Haus mit der historischen Nummer 138 (die aktuelle Hausnummerierung wurde von uns noch nicht ermittelt, R.M.).

1919 bis 1921 versah Friedrich Georg Alle seinen Militärdienst bei der Truppe im Jägerregiment 2. Er arbeitete bis 1936 im Schotterwerk Karl Siegel in Stuttgart-Zuffenhausen als Steinbrecher. Alle war Funktionär der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) und leitete bis 1933 deren Ortsgruppe Weissach. Im April 1933 wurde er von dem Landjäger Vogel und dem als Hilfspolizist fungierenden SA-Mitglied Christian Mann aus Weissach in seiner Wohnung verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis Vaihingen an der Enz eingeliefert. Von dort kam er in das Schutzhaftlager Heuberg, wo er bis August oder – nach Alles eigenen Angaben – bis Oktober 1933 festgehalten wurde.

Im Dezember 1936 wurde er erneut verhaftet. Der Grund hierfür war nach den Nachkriegsfeststellungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 26. Juli 1949 eine politische Auseinandersetzung am Kirchweihmontag 1936 in Weissach zwischen Alle und anderen Ortseinwohnern, „in deren Verlauf Alle politische Äußerungen gebrauchte, wegen derer eine Meldung von dem Zeugen Allmendinger an das Oberamt Vaihingen/Enz gemacht wurde. Kurz darauf kam von der Gestapo Stuttgart der schriftliche Auftrag, den Alle festzunehmen“. Johannes Allmendinger (1882-1970), der die Meldung gemacht hatte, war damals Landjäger in Weissach und dann auch derjenige, der Alle vor Ort verhaftete und ins Polizeipräsidium in der Büchsenstraße in Stuttgart verbrachte. Nach den Vernehmungen durch die Gestapo in Stuttgart kam Alle in das Polizeigefängnis Welzheim und von dort per Schub am 16. Januar 1937 in das Konzentrationslager Dachau. Dort wurde ihm der Block 2/1 zugewiesen. Er trug die Häftlingsnummer 5 und den „roten Winkel“ der politischen Häftlinge mit einem roten Balken darüber als Zeichen, dass er sich zum zweiten Mal in Schutzhaft befand. Nach Alles eigenen Angaben wurde er als „Politischer“ in Dachau sofort in die "Strafkompanie" eingewiesen und musste 12 bis 18 Stunden täglich schwere Bauarbeiten verrichten. Die Verpflegung sei schlechter gewesen als im übrigen Lager. Im August 1937 sei er vor Schwäche bei der Arbeit zusammengebrochen und mit hohem Fieber über das Krankenrevier in das Krankenhaus München-Schwabing gebracht worden. Nach 14 Tagen wieder zurück im Lager habe er sofort wieder arbeiten müssen.

Wegen der zeitweiligen Umnutzung des Lagers Dachau für Ausbildungszwecke der SS wurde er mit einem Massentransport am 27. September 1939 in das Konzentrationslager Mauthausen verlegt. Dort seien die Lagerverhältnisse und die Verpflegung wesentlich schlechter gewesen als in Dachau. Es habe fast immer nur Rüben zu essen gegeben, und er habe schwere Steinbrucharbeiten verrichten müssen.

Im Februar 1940 kam er wieder zurück ins KZ Dachau. 1944 sei er dort gemustert, aber wegen eines schwebenden Verfahrens vom Wehrdienst zurückgestellt worden. Im April 1945 habe er mit einem größeren Transport nach Tirol kommen sollen. Er sei etwa zehn Tage lang praktisch ohne richtige Verpflegung und Unterkünfte gewesen. Durch die US-Armee befreit – die formelle Entlassung erfolgte am 16. Mai 1945 – wurde er nach eigenen Angaben sofort in ein Sanatorium nach Bad Tölz überführt, und nachdem er wieder gehfähig war, nach Hause entlassen. Danach habe er fast den ganzen Heimweg zu Fuß zurückgelegt. Zuhause habe er sich sofort in ärztliche Behandlung begeben.

Da Alles Mutter während seiner Haftzeit gestorben und ihr Häuschen samt Möbeln verkauft worden war, half die Gemeinde aus. In diesem Zusammenhang wandte sich der Weissacher Bürgermeister am 6. November 1945 an das Amt für die Wiedergutmachung in Stuttgart. Man habe für Alle eine leere Wohnung beschafft. „Es erhebt sich nun die Frage, ob das notwendige Mobiliar (Betten, Tisch, Schrank, Stühle, Radio) bei ehemaligen aktiven Pgs zu beschlagnahmen ist. Ferner bitte ich um Weisung, inwieweit für derartige Fälle Richtlinien oder Erlasse vorhanden sind hinsichtlich Beschaffungsmöglichkeit von Kleidung, Arbeitsvermittlung und einmalige oder laufende Zuwendungen an Geld.“

In der Antwort des Innenministers an den Bürgermeister zwei Wochen später hieß es, dass eine aktive Hilfe in Ermangelung gesetzlicher Grundlagen noch nicht möglich sei. „In der Zwischenzeit sollten alle Möglichkeiten erfasst werden, um Herrn Alle tatkräftige Hilfe zu gewähren, insbesondere Zuweisung einer Arbeit so bald dies sein Gesundheitszustand erlaubt. Eine Beschlagnahme von Mobiliar im vorgeschlagenen Sinne ist z. Zt. noch nicht möglich, doch lässt sich sicher innerhalb der Gemeinde durch freiwillige Spenden bzw. Abgaben erreichen, dass das von Ihnen zur Verfügung gestellte leere Zimmer möbliert wird [...]. Im übrigen erscheint eine enge Zusammenarbeit mit der Vereinigung der politischen Häftlinge und der politisch Verfolgten in Leonberg angebracht.“ Dr. Fischer – Direktor im Innenministerium. Jedoch wurden am 22. November 1945 Alle 600.- RM Soforthilfe aus dem Fonds des Finanzminsteriums bewilligt. Auch vom Amt der US-Militärregierung für Deutschland (OMGUS) gab es einen Betrag zur Abwendung eines Notstands für ehemalige KZ-Insassen.

Alle wohnte wieder in Weissach und arbeitete seit November 1946 als Baufacharbeiter und Packer bei dem politisch linksstehenden Verlag „Das Neue Wort“ in Stuttgart.

In Alles Wiedergutmachungsverfahren wurde der politische Charakter seiner Inhaftierung - zumindest behördenintern - in Zweifel gezogen, wie aus einer undatierten Note des Landesamtes für die Wiedergutmachung an ihre Ermittlungsstelle hervorgeht: „Der Fall ist recht auffällig. Irgendwelche Nachweise über eine politische Betätigung liegen nicht vor. Vorstrafen wegen politischer Vergehen sind nicht erfolgt, Alle will vielmehr nahezu die ganze Zeit der nat.-soz. Herrschaft in KZ-Lagern zugebracht haben. Da der Anspruch des Obengenannten gegebenenfalls recht hoch wäre, rund DM 15.000,- Haftentschädigung und unter Umständen weitere Forderungen wegen Verdienstausfall und gesundheitlicher Schädigung, scheint eine eingehende Überprüfung angezeigt“ (Dr. Heller).

Schicksals- und Parteigenossen wie Karl Wagner (geb. 1909), Julius Schätzle, Karl Hauff, Paul Welzel und Walter Vielhauer (siehe jeweilige Biografie) bestätigten jedoch, dass Friedrich Alle in den Lagern als politischer Häftling geführt wurde und dass er sich darüber hinaus im KZ „einwandfrei und als anständiger Kamerad“ verhalten habe. Alle erhielt für seine erlittene Freiheitsberaubung – die immerhin 104 volle Monate gewährt hatte – sowie für seine gravierenden Gesundheitsschäden und finanziellen Nachteile jeweils Geldleistungen. Aufgrund eines Magenleidens, das mehrere Operationen nach sich zog, wurde er arbeitsunfähig. Im Mai 1949 beantragte Alle über die Süddt. Ärzte- u. Sanitätshilfe der Centrale Sanitaire Suisse (CSS) die Aufnahme im Behelfskrankenhaus „Haus in der Sonne“ in Bad Mergentheim, worauf das Landesamt für die Wiedergutmachung ein halbes Jahr später die Kostenübernahme für vier Wochen Krankenkur zusagte.

1950 konnte er in Weissach ein Grundstück erwerben und einen Wohnhaus-Neubau errichten. Alle ehelichte die neun Jahre jüngere Südtirolerin Elisabeth, geborene Söller; 1956 wurde eine Tochter geboren. Friedrich Alle verstarb am 25. April 1964 im Krankenhaus Leonberg. Vermutlich waren es verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden, die mit zu seinem Tod führten.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt die Flachter Straße in 71287 Weissach allgemein (noch ohne Hausnummer im heutigen Nummerierungssytem).

 

Quellen

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.6.2 Individuelle Häftlingsunterlagen – KL Dachau – Friedrich Alle

Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 1147

 

© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Juni 2021
www.kz-mauthausen-bw.de