Direkt zum Inhalt
« Zurück

Josef E.

(geb. 1912)

Wegen Konflikt mit Heilbronner Nazis ins KZ?

 

01.02.1939 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Mauthausen
09.11.1939 KZ Dachau
10.11.1944 aus KZ Dachau zur Brigade Dirlewanger entlassen

Josef E., geboren am 4. August 1912 in Stolberg (Rheinland), war römisch-katholisch getauft und von Beruf Schreiner. Zu einem in den vorliegenden Quellen nicht genannten Zeitpunkt war er nach Heilbronn gezogen, wo er in der Großen Metzgergasse 21 (heute: Metzgergasse; genannt wird als seine Wohnadresse auch Hausnummer 19) lebte.

Die Gründe, weshalb Josef E. verhaftet und ins Konzentrationslager eingewiesen wurde, sind anhand der vorliegenden Quellen nicht zweifelsfrei zu klären. Nach Josef E.s späterer Darstellung war es bei einem Umzug der Nationalsozialisten in Heilbronn im Dezember 1938 zu einem Zwischenfall gekommen. Aufgrund seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem NS-Regime habe er "die Fahne nicht gegrüßt", weshalb er "von einem SS-Mann niedergeschlagen" worden und vor Gericht gekommen sei. Im Gerichtsurteil habe es geheißen, E. sei eine Gefahr für Volk und Staat und müsse somit in Schutzhaft genommen werden. E.s Darlegung seiner Verfolgungsumstände lässt Fragen offen – nicht nur, weil "Schutzhaft" grundsätzlich nicht von der Justiz, sondern von der Gestapo verhängt wurde. Das Gericht – so denn überhaupt ein reguläres justizielles Verfahren stattgefunden haben sollte – scheint keine oder jedenfalls keine erhebliche Freiheitsstrafe verhängt zu haben, denn für die Verbüßung einer Strafe im Justizvollzug blieb so gut wie keine Zeit: Bereits gut zwei Monate nach dem geschilderten Vorfall in Heilbronn kam E. ins Konzentrationslager. Die KZ-Einweisung durch die Stapoleitstelle Stuttgart dürfte, wie in diesen Fällen üblich, über die Zwischenstation Polizeigefängnis Welzheim erfolgt und nach dem Eintreffen des Schutzhaftbefehls aus Berlin vollzogen worden sein, was das in Frage kommende Zeitfenster zusätzlich verengen würde.

Ab 1. Februar 1939 befand sich Josef E. als Schutzhäftling Nummer 32402 im KZ Dachau. Wegen der zeitweiligen Umnutzung des Dachauer Lagers durch die SS kam er am 27. September 1939 mit einem Massentransport in das KZ Mauthausen. Sein Aufenthalt dort sollte nur fünf Wochen währen. Zwar blieb das Lager Dachau bis in die zweite Februarhälfte 1940 von Häftlingen bis auf ein kleines, zurückgebliebenes Arbeitskommando mit rund 100 Häftlingen geräumt, doch wurde E. bereits am 9. November 1939 mit einem Kontingent von 30 Häftlingen nach Dachau rücküberstellt, mit ihm auch sein Mithäftling Georg Engl. Möglicherweise benötigte die SS E. in seiner Eigenschaft als Schreiner für bestimmte Tätigkeiten. E. trug von nun an – eventuell auch erst nach der Rückkehr weiterer Dachauer Häftlinge aus Mauthausen im Februar 1940 und der damit verbundenen numerischen Neuerfassung – die Dachauer Häftlingsnummer 53.

E. kam am 4. April 1941 aus nicht genannten Gründen drei Tage in Kommandanturarrest. Am 10. November 1944 wurde er aus dem Konzentrationlager Dachau zur Brigade Dirlewanger entlassen.

Die berüchtigte Sondereinheit Dirlewanger hatte sich bereits bei der "Partisanenbekämpfung" im Osten, bei der Dorfbewohner, auch Frauen und Kinder, erschossen oder in ihren Behausungen verbrannt worden waren, einen Schreckensnamen gemacht. Danach betätigte sich die Einheit bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands und demonstrierte dabei bis Mitte Oktober 1944 bei Massenmorden, Folterungen und vielerlei weiteren Verbrechen ihre selbst für SS-Truppen außerordentliche Grausamkeit und Brutalität. Bereits im Sommer 1942 waren der Einheit erste KZ-Häftlinge zugewiesen worden. Es folgten weitere Aushebungen in den Konzentrationslagern aus den Reihen der "Berufsverbrecher" und "Asozialen". Ab Herbst 1944 wurden auch politische KZ-Häftlinge für Dirlewanger ausgemustert. Kommandeur Oskar Dirlewanger selbst rechtfertigte dieses Vorgehen paradoxerweise mit der erwiesenen Widerstandskraft der "Politischen" gegen den Nationalsozialismus: "Es sind in den Lagern Männer, die [...] nicht sofort sich äußerlich als Nationalsozialisten tarnten, sondern ihrer Weltanschauung zunächst treu blieben und somit Charakter zeigten, im Gegensatz zu den vielen Hunderttausenden, die es mit den Stärkeren hielten".

Bis zum 10. November 1944 wurden weitere 1910 politische Häftlinge rekrutiert, die aus Dachau und anderen großen Lagern kamen. Die Ausmusterungen sollten durch die Lagerkommandanten vorgenommen werden und nur solche ehemaligen politischen Gegner einbeziehen, "die nach eigener fester Überzeugung der Lagerkommandanten sich innerlich gewandelt und den Wunsch haben, dies durch Teilnahme am Kampf des Großdeutschen Reiches unter Beweis zu stellen." Betroffenenberichten zufolge wurde die Frage, ob man sich auf Nachfrage "freiwillig" zum Militär melden solle, unter den Häftlingen kontrovers diskutiert. Etliche sahen die Chance, der latent drohenden Vernichtung zu entkommen und nach Möglichkeit den bewaffneten Kampf gegen den Faschismus aufnehmen zu können.

Anfang Dezember 1944 kam die Dirlewanger-Truppe im nordungarischen Frontabschnitt zum Kampfeinsatz. Ab 18. Februar 1945 wurde die Einheit – nun als 36. Waffen-Grenadier-Division der SS – im Abschnitt Guben (Brandenburg) eingesetzt. Nach dem Durchbruch der Roten Armee durch die Oderlinie im April 1945 wurde die Einheit in die Kämpfe südöstlich Berlins verwickelt und zersprengt. Das Gros der Brigade geriet bei der Kesselschlacht von Halbe 60 Kilometer südlich von Berlin am 29. April in sowjetische Gefangenschaft.

Persönliche Einzelheiten über E.s Einsatz bei der Sondereinheit Dirlewanger sind nicht bekannt, auch nichts über sein Leben in der Nachkriegszeit. In den 1970er Jahren wohnte er mit seiner Frau wieder an seinen Geburtsort Stolberg. Am 29. Oktober 1971 bat Josef E. den Internationalen Suchdienst (ITS) in Arolsen um eine Bescheinigung über die Zeit seiner KZ-Haft für seine Rentenangelegenheit, da er im KZ keine Verdienstmöglichkeit hatte und daher nicht renten- und sozialversichert war. Die zuständigen Bürokraten gaben sich mit der amtlichen Haftbescheinigung freilich nicht zufrieden: "Die L.V.A. [Landesversicherungsanstalt] macht einem jetzt solche Schwierigkeiten" schrieb Josef E.s Ehefrau Anfang August 1974 an den ITS. Die Versicherungsanstalt misstraute offenbar E.s Darstellung seiner Inhaftierungsgründe und stellte ihn vor eine unlösbare Aufgabe. "Mein Mann soll den ganzen Ablauf nochmals berichten möglichst mit Zeugen, wo soll er die herholen?" Weiter hieß es in dem Brief: "Einen Wiedergutmachungsantrag hat mein Mann nicht gemacht, allein aus Angst, das Blatt hätte sich mal wenden können. Die fast 6 Jahre haben ihm gereicht! Es geht uns jetzt nur um die Rentenangelegenheit. Ich danke im voraus um ihre Hilfe". Doch helfen konnte auch der ITS in diesem schwierigen Fall nicht, da der Grund der seinerzeitigen Inhaftierung E.s aus den in Arolsen befindlichen Original-Unterlagen nicht ersichtlich war.

Die Markierung auf der Übersichtskarte verweist auf Josef E.s frühere Wohnstätte in der Metzgergasse in 74072 Heilbronn.


Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.6.2 Individuelle Häftlings Unterlagen - KL Dachau - Josef E.
6.3.3.2 Korrespondenzakte T/D-222364

Hans-Peter Klausch: Antifaschisten in SS-Uniform. Schicksal und Widerstand der deutschen politischen KZ-Häftlinge, Zuchthaus- und Wehrmachtsgefangenen in der SS-Sonderformation Dirlewanger. Bremen 1993, S. 140 ff.


© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: August 2021
www.kz-mauthausen-bw.de